Soziologin: „Einkaufen ist Christenpflicht“

Einerseits zittert die Weltwirtschaft vor der Finanzkrise, die noch nicht vorüber ist. Andererseits steht das Weihnachtsfest bevor, auf das sich Industrie und Handel gewöhnlich jedes Jahr freuen. Die amerikanische Soziologin Marcia Pally ruft im aktuellen "Spiegel" die scheinbar konsummuffeligen Deutschen auf: "Einkaufen ist Christenpflicht!"
Von PRO

Die Wirtschaftsmeldungen gleichen in diesen Tagen Hiobsbotschaften. Im Wirtschaftswunderland Japan etwa bricht derzeit Panik aus, weil der Export erlahmt. „Hunderttausende bangen um ihre Jobs. Die Weltwirtschaftskrise treibt das Land an den Rand der Panik“, berichtet am heutigen Dienstag die „Financial Times Deutschland“. Der Weltkonzern Sony entlässt 8.000 von 160.000 Angestellten.

Die Amerikaner hätten ein bewährtes Rezept in Zeiten der Krise, sagt Marcia Pally, Journalistin und Professorin, die an der New York University Englisch lehrt. Im Magazin „Der Spiegel“ schreibt sie in diesen Tagen: Auch nach dem 11. September 2001 hätten die Amerikaner bewusst nicht gespart. „Nein, wir haben beschlossen, shoppen zu gehen.“ So bestehe das Konjunkturpaket gegen die aktuelle Wirtschaftskrise darin, „shoppen zu gehen“.

„In Deutschland ist Einkaufen verwerflich, in den USA Christenpflicht“

„Während in Deutschland einkaufen gehen, Geld ausgeben und Schulden machen als wirtschaftlich gefährlich und moralisch fragwürdig gelten, sind diese Tätigkeiten in Amerika das Lebenselixier, das die Welt in Bewegung hält. (…) Und so werden wir auch diesmal unsere Wirtschaft auferstehen lassen, als wäre sie Lazarus auf dem Totenbett.“ – Und zwar durch Konsum.

Kaufen sei keineswegs eine Sünde, sondern im Gegenteil, gottgewollt, so Pally, die in mehreren Büchern das evangelikale Christentum in den USA untersucht hat. Vor kurzem erschien ihr Buch „Die hintergründige Religion. Der Einfluss des Evangelikalismus auf die US-amerikanische Politik“ bei der „Berlin University Press“. „Tatsächlich ist ja der Kapitalismus eine auf Glauben aufbauende Veranstaltung. […] Warum aber glaubt Deutschland das nicht, dieses gute christliche Land? Weil das alte Europa immer noch im alten Christentum verhaftet ist.“

Die Ausflucht der Deutschen, man sei doch aber „säkular“ gelte hier nicht, so Pally. „Selbst wer in Deutschland nicht an Gott glaubt, hat die alte christliche Kultur im Blut. Und die basiert nun einmal auf diszipliniertem Streben, auf Risiko und Schuld. Sie hält die Menschen dazu an, ein schwieriges und riskantes Ziel anzustreben – selbstkritisches moralisches Handeln und den Glauben an einen Gott, der ihnen ihr unausweichliches Scheitern vergibt.“

Jesus, Rettung, Schuld(en)freiheit

Über ihre amerikanischen Landsleute schreibt sie: „Auch wenn wir unabhängigen Pioniertypen an Gott festgehalten haben (nett von uns, oder?), so haben wir doch nicht mehr auf seine Gnade gesetzt – zu passiv -, sondern auf unsere eigene Entscheidung, ihn zu suchen. Daher der Ruf der evangelikalen Bewegung, der lange vorherrschenden Glaubensrichtung: Nimm Jesus an, und du bist gerettet. Es liegt bei uns, den entscheidenden Schritt zu tun. Und weil wir ja wissen, dass wir diesen entscheidenden Schritt getan haben, wozu dann noch Schuldgefühle?“ Außerdem fragt sie: „Ist unser Erfolg etwa kein Beweis dafür, dass Gott uns segnet?“

Die „amerikanische Dreieinigkeit“ seien „Ehrgeiz, Waghalsigkeit und der Glaube an dauerhaft steigende Verbesserung“. „Und so shoppen wir mit gutem Gewissen. Darin steckt die Kraft zur persönlichen wie zur globalen Verbesserung. Und damit ist Shoppen unsere (Christen-) Pflicht.“ Die Professorin beendet den Artikel mit den Worten: „Die wahre Sünde der aktuellen Finanzkrise liegt darin, dass sie uns unseres angestammten Glaubens beraubt. Frohe Weihnachten Ihnen allen.“

Tatsächlich würde Pallys Aufruf in der Berliner Koalition wohl auf offene Ohren stoßen. Dass die Bürger nun lieber Geld ausgeben anstatt zu sparen, erhoffen sich die Bundespolitiker ebenfalls. Die Bunderegierung denkt laut über die Einführung von „Konsumschecks“ nach, damit die Kauflaune angekurbelt wird. Und SPD-Chef Franz Müntefering empfiehlt im aktuellen „Focus“: „Leute, kauft!“ (PRO)

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