Sozialethiker stellt die Vertrauensfrage

Wie muss die Kirche reagieren, wenn sich der Staat in der Krise befindet? Mit dieser Frage beschäftigt sich der katholische Sozialethiker Elmar Nass in einem Essay in der aktuellen Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Unter dem Titel "Die Kirche und das Euro(pa)dilemma" entwirft er eine freiheitlich-katholische Sicht und wünscht sich vor allem eines: Vertrauen.
Von PRO

Nass kritisiert, dass das Management der Währungsunion und deren Krise bisher von Vertragsbrüchen und nicht gehaltenen Versprechungen zuungunsten der Solidität geprägt war. Derzeit stehe aber nicht nur eine Währung, sondern auch die Akzeptanz der europäischen Idee auf dem Spiel. Weil es um die Zukunft menschlichen Zusammenlebens gehe, handele es sich auch um eine klassische Herausforderung für die christliche Sozialethik. Nass vermisst in der aktuellen Debatte eine offizielle Stellungnahme der Kirchen.



Alternativen für eine ethische Bewertung anbieten

Der Autor schreibt: "Viele Orientierungsfragen um die aktuelle Krise werden pragmatisch, politisch oder ökonomisch beantwortet. Theologisch begründete Antworten können Alternativen für eine ethische Bewertung anbieten, die sich nicht zuerst von Stimmungsbarometern, Machtstrategien oder ökonometrischen Modellen leiten lassen. Auftrag christlicher Sozialethik ist es, mit ihren Werten und Prinzipien dem Schöpfungsplan Gottes entsprechend die Gesellschaft mitzugestalten und ihr plausible ethische Orientierungen an die Hand zu geben."



Obwohl es nicht die Aufgabe christlicher Sozialethik sei, die Rolle der Politiker oder Ökonomen einzunehmen, müsse sich auch die Kirche positionieren. Bei aller geforderten Solidarität, vermisst Nass Proteste "gegen das systematische Aufweichen der Konvergenzkriterien, gegen Ankäufe fauler Staatspapiere durch die EZB, gegen das Anwerfen ihrer Notenpresse nach dem letzten Amtswechsel an ihrer Spitze oder gegen die Rettungsschirme mit Weiten, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat".

Prinzipien mit zeitloser Gültigkeit



Nass kommt vor allem die im Lissabon-Vertrag festgeschriebene Subsidiarität zu kurz: "Katholische Sozialethik artikuliert den Inhalt ihrer Prinzipien als Einsichten über den Menschen, die – wie die Menschenwürde im Grundgesetz – zeitlose Gültigkeit beanspruchen." Durch fehlendes Vertrauen gehe auch der Wert menschlichen Miteinanders und der Währungen verloren. Er bedauere es, dass vertragliche Regeln zur Solidität nicht viel mehr als Makulatur sind: "Vertragsbrüchigkeit hat das Vertrauen erschüttert. Es herrscht eine Kultur, die zu Misstrauen und Unredlichkeit motiviert. Das widerspricht der Entfaltung von Sozialverantwortung."



Eine Kultur des Vertrauens schaffe aber lediglich das Zusammenspiel der Grundideen von Solidarität und Subsidiarität. Die vermeintliche Härte vieler Verträge sei kein Gegner der Solidarität. Wer unverantwortlich handelt, könne im verursachten Krisenfall nicht die bedingungslose Haftungsübernahme durch die Solidargemeinschaft erwarten. "Subsidiarität fördert in einer solchen Kultur das gegenseitige Vertrauen zwischen Starken und Schwachen. Denn die Starken können sich darauf verlassen, dass die Schwachen ihren Beitrag leisten. Und die Schwachen können sich darauf verlassen, dass sie im Notfall so viel Unterstützung finden, dass sie sich wieder selbst helfen können", meint Nass.

Gegen die nationalen Egoismen

Fiskal- und Geldpolitik auf europäischer Ebene dürfe nicht eine Mentalität der Unredlichkeit oder der finanziellen Maß- und Zügellosigkeit fördern. Die sich auf diesem Gebiet entwickelnde Sorglosigkeit töte das Gespür für "Ehrlichkeit, kreative Eigenverantwortung und einen Geist sozialer Verantwortung". Von der freiheitlichen katholischen Sozialethik erwarte er, dass sie in "Sorge um Europa auf die politischen Szenarien, die mit einer subsidiaritätsvergessenen Solidarität Schritt für Schritt eine Kultur des Unfriedens säen" schaue.



Den Beitrag der Kirchen sieht Nass auch im karitativen Einsatz für die Menschen, "die vor allem in den Krisenländern kaum noch durch soziale Netze aufgefangen werden. Dazu müssen von ihnen in aller Schärfe Korruption und Verschwendung angeprangert werden". Ein neuer Schwerpunkt kirchlicher Bildungsarbeit sollte die Aufklärung über sozialethische Zusammenhänge sein, um eine mündige Kompetenz zu stärken. "Einem Geist nationaler Egoismen gegenüber hat die katholische Kirche die Chance und den Auftrag, eine Kultur gemeinsamer Verantwortung zu stärken."

Der Autor arbeitet nach zwei erfolgreichen Promotionen in Theologie und Sozialökonomie, als Verantwortlicher für Fortbildung im Generalvikariat des Bistums Aachen. Zudem lehrt er Wirtschafts- und Sozialethik an der Technischen Hochschule Aachen. (pro)

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