Soziale Medien: Schöne neue Welt?

Zu mehr Mut für eine seriöse Berichterstattung hat der Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, beim Frankfurter Tag des Online-Journalismus aufgerufen. Bei der Veranstaltung meldeten sich zahlreiche weitere Experten zu Wort.


Von PRO

Bräuer ging auch auf die politischen Umbrüche in Nordafrika ein. Anhand eigener Treffen mit den dortigen Medienvertretern habe er hautnah erlebt, wie der Diskussionsprozess über die Berichterstattung vor Ort ablaufe. "Freelancer" hätten sich todesmutig in Gefahr begeben, nur um gute Bilder zu senden. Der Oberkirchenrat schränkte deswegen ein: "Wir müssen Fürsorge haben für unsere Korrespondenten. Da bin ich auch gerne bereit, auf Bilder und O-Töne zu verzichten, denn kein Bericht rechtfertigt ein solches Risiko. 

Dies beinhaltet auch, die Aussage zu treffen: Zu diesem Zeitpunkt können wir noch nicht mehr sagen, statt um der schnellen Nachricht willen etwas zu melden."

Twitter und Facebook die Blaupausen von heute


Aufgrund der rasanten politischen Entwicklungen hätten es sogar Amateur-Videos in die Hauptausgabe der Tagesschau geschafft: "Diese Form des Journalismus ist dann verantwortbar, wenn die Quelle verifiziert ist und sie in den engen Grenzen der Berichterstattung stattfindet", erklärte der Oberkirchenrat. "Was vor 20 Jahren bei der friedlichen Revolution in der DDR die Blaupausen waren, das sind heute Twitter und Facebook". Die neuen Medien seien ein wesentlicher Schlüssel zur Demokratisierung und zur Pressefreiheit.



Der Oberkirchenrat mahnte zugleich an, in der Berichterstattung immer die Menschenwürde und die Menschenrechte zu wahren: "Wir sollten das Material mit Hilfe des christlichen Menschenbildes anschauen, und den Opfern immer den Vorrang vor den Tätern geben. Die Journalisten bleiben ‚Gatekeeper‘, indem sie filtern, überprüfen und die neue Quelle bewerten." Enttäuscht zeigte sich Bräuer, dass in den wichtigen Diskussionsrunden jüngeren Auslandskorrespondenten kein Raum gegeben werde, um das Erlebte zu reflektieren.

Religionsfreiheit als universales Recht für alle



Bräuer äußerte sich kritisch zu dem Ausmaß, das die Benachteiligung der Christen in vielen Ländern bereits erreicht habe: "Vorhandene Kirchen dürfen nicht im Grundbuch eingetragen und neue Kirchen gar nicht gebaut werden", sagte er. Über den christlichen Glauben zu reden, werde für viele Menschen zur Lebensgefahr. "80 Prozent aller verfolgten Gläubigen sind Christen. Die Religionsfreiheit ist aber ein universales Recht, das in allen Ländern gelten muss."


Eingeladen zu der 7. Tagung dieser Art hatten der Hessische Rundfunk (hr), epd Medien, der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und "evangelisch.de". Die Journalisten diskutierten im Rahmen der Tagung, wie die Kraft der sozialen Medien genutzt werden kann und welche Kriterien es für guten Journalismus unter sich ständig verändernden Bedingungen gebe.



Die WDR-Redakteurin Golineh Atai diagnostizierte eine veränderte Haltung der Redaktionen gegenüber den neuen Medien. Scheu und Skepsis seien einer neuen Offenheit gewichen. "Die sozialen Medien verändern unsere Arbeit und vermitteln Nähe. Wichtige Geschehnisse werden nicht über das Staatsfernsehen vermittelt, sondern über Facebook", so die Expertin.

"Es wird noch unterschätzt, wie hilfreich das iPad für die berufliche Nutzung ist", bilanzierte der Autor Christian Jakubetz. Die Leserschaft von Zeitungen verlagere sich ins Internet und auch der Journalismus werde durch die Tablets endgültig multimedial und immer schneller. Durch die riesigen Mengen an Inhalten, die im Umlauf seien, würden Journalisten immer mehr zu Kuratoren.

Übergangsphase in eine neue Welt

Daniel Murmann, Programm-Manager des jungen hr-Radioprogramms "YOU FM", machte deutlich, dass sich der Sender bemühe, seine Inhalte über viele Kanäle zu vermitteln, um junge Menschen zu erreichen. Vor allem die sozialen Medien seien für die Diskussionskultur und die Meinungsbildung wichtig: "Wir kommen an Facebook nicht vorbei", so Murrmann. Der Chefredakteur des Internet-Portals "sueddeutsche.de", Stefan Plöchinger, betonte, dass der Journalismus derzeit neu erfunden werde: "Wir sind gerade in einer Übergangsphase von einer alten in eine neue Welt."

Politikwissenschaftler Christoph Bieber beschäftigte sich mit der umstrittenen Plattform "Wikileaks", die immer wieder geheime US-Dokumente veröffentliche und damit Politiker in Bedrängnis brachte. Bieber bezeichnete  den "medialen Akteur" "Wikileaks" als Konkurrent für den klassischen Journalismus und als einen Ausdruck investigativen Journalismus. (pro)

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