„Söhne Mannheims“-Projekt: „Keiner ist immer nur Verlierer“

In Mannheim engagiert sich eine der bekanntesten deutschen Bands, die "Söhne Mannheims", im Projekt "Aufwind". Es ist eine Anlaufstation für Kinder, die in ihrem Leben das Wesentliche verloren haben: die Liebe ihrer Eltern. pro-Redakteur Andreas Dippel hat den Leiter von "Aufwind", Stefan Semel, getroffen.
Von PRO

Neulich in einem Fernsehbeitrag: Eine heute 70-jährige Frau berichtet aus ihrem Leben, aus der Zeit ihrer Kindheit, die sie im Zweiten Weltkrieg verbracht hat. Armut, Flucht und Hunger sind für sie nicht nur Begriffe, es sind Erfahrungen, die sie niemals vergisst. Die Frau erzählte in der Dokumentation, wie sie als Kind alleine, ohne ihre Eltern aufgewachsen ist. Ihr Vater war im Krieg, ihre Mutter verschleppt. „Für Kinder gibt es viele schreckliche Dinge im Leben“, sagte sie, „doch wenn ein Kind ohne Vater und Mutter aufwachsen muss, ist das schlimmer als Armut, Flucht und Hunger.“ Das Gefühl der absoluten Schutzlosigkeit, des Ausgeliefertseins an fremde Menschen, habe sie nie vergessen.

Heute, mehr als 60 Jahre nach Kriegsende, müsste kein Kind mehr hungern – und doch müssen es viele. Kinder wachsen in Armut auf, in zerütteten Familien, in denen Eltern entweder keine Kraft mehr haben, sich um ihre Tochter, um ihren Sohn, zu kümmern, oder es einfach bleiben lassen, weil sie den Alkohol, den Fernseher, die Drogen mehr lieben als ihren Nachwuchs. Auch heute wachsen so Kinder ohne Eltern auf – Vater und Mutter mögen zwar körperlich da sein, aber wenn Kinder keine Liebe, keine Aufmerksamkeit erhalten, sind sie Waisen.

1,6 Millionen Kinder unter 15 Jahren wachsen derzeit deutschlandweit in Familien auf, die ihren Lebensunterhalt von Sozialhilfe bestreiten müssen, so der Kinderreport. In Westdeutschland sind es 11 Prozent  aller Kinder, die Kinderarmut hat sich seit 1989, innerhalb der vergangenen 20 Jahre, mehr als verdoppelt. Wen wundert es da, dass Sozialeinrichtungen schier überrannt werden von Kindern, die wissen, dass sie nach der Schule zu Hause nicht willkommen sind. „Die Arche“ in Berlin, die deutschlandweit neue Einrichtungen plant, ist zum Synonym geworden für die fehlende Heimat, unter der immer mehr Kinder leiden.

„…sonst bewegt sich nichts.“

Doch es gibt nicht nur „Die Arche“, in zahlreichen Städten gründen engagierte Menschen ähnliche Einrichtungen. So etwa in Mannheim. Das Projekt heißt „Aufwind“, in den Räumen einer Kirchengemeinde finden Kinder und Jugendliche alles, was sie zum Leben brauchen: Mittagessen nach der Schule, Hausaufgabenbetreuung, kreative Freizeitangebote. Und weil „Aufwind“ in Mannheim tätig ist, hat sich eine von Deutschlands bekanntesten Musikgruppen dem Projekt verschrieben: die „Söhne Mannheims“. Die Band um Xavier Naidoo unterstützt die Sozialarbeit im Rahmen ihres eigenen Fördervereins „Söhne Mannheims e.V.“. Ganz bewusst wollen die engagierten Musiker mit ihren Liedern nicht nur Geld verdienen, sondern auch Geld für Menschen ausgeben, die dringend Hilfe brauchen.

Der Mannheimer Stefan Semel leitet das Projekt „Aufwind“, er ist außerdem im Vorstand von „Söhne Mannheims e.V.“. Er hat viele Jahre Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, er kennt die Abgründe. „Die Straßenkinder auch hier in Mannheim werden immer jünger“, sagt Semel, „Drogen unter Jugendlichen verbreiten sich immer mehr.“ Was Kinder heute am meisten brauchen? „Sicherheit, Geborgenheit, eine Stabilisierung ihrer Lebensverhältnisse“, meint Stefan Semel. Durch viele kleine Details will das Team  von „Aufwind“ dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche, die nach der Schule in die Räume kommen, diese Stabilität kennen lernen. Stefan Semel: „Die Kinder helfen beim Tischdecken oder beim Einkauf, sie werden in unsere Arbeit eingebunden und lernen so, dass sie wertvoll sind, dass sie gebraucht werden. Was gibt es Schöneres für Kinder als so zu erfahren, dass sie geschätzt werden!“

Die Begeisterung der Kinder, hat oft auch Auswirkungen auf ihre Eltern, die Stimmung zu Hause. Kinder berichten vom „Aufwind“, manche Eltern werden neugierig und lassen sich ebenfalls ab und an blicken. Sie kommen raus aus ihrer Wohnung, raus aus dem Trott – und ins Gespräch mit Menschen, die ihnen nicht nur zuhören, wenn sie von ihren Alltagssorgen erzählen, sondern auch den Eltern die Wertschätzung geben, die sie auf dem Arbeits- oder Sozialamt nur selten bekommen.

Es ist ein starkes karitatives Herz, das in Stefan Semel schlägt, das spürt jeder Besucher des „Aufwind“. Doch er ist nicht nur ein karitativer, sondern auch ein kreativer Mensch. Mit seiner Aktion „Gott Bewegung“ will Semel etwa Christen dazu ermutigen, sich auf den ersten Blick als „Gottesanhänger“ zu erkennen zu geben – und gleichzeitig den „Aufwind“ finanziell unterstützen. Stefan Semel produziert dazu Taschen, auf denen nur ein Wort steht: „Gott“. Auch dazu hat ihn definitiv ein Songtext der „Söhne“ inspiriert: „Wir müssen was bewegen, sonst bewegt sich nichts.“

www.soehne-mannheims-ev.de
www.aufwind-mannheim.de
www.gott-bewegung.org

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