Soziale Medien sind toxisch. Anonymität, Algorithmen und Bubbles entfesseln die schlimmsten Seiten in uns. Achtsamer Konsum ist kaum möglich, die Plattformen leben von Emotionalisierung und Affekthandeln. Das funktioniert selbst bei denen, die sich für bewusste Nutzer von Facebook, Snapchat oder X, früher Twitter, halten (jeder hinterfrage sich hier kurz selbst).
Ich bin von Beruf Redakteurin. Ein ordentlicher Teil meines Berufslebens spielt sich online ab. Instagram und X öffne ich stündlich. Und obwohl soziale Plattformen für uns Journalisten zu einem wichtigen und tatsächlich nicht wegdenkbaren Ideen- und Anstoßgeber für News und Artikel geworden sind, halte ich sie für grundsätzlich schlecht. Lange Zeit dachte man, sie seien der Wegbereiter in eine neue Zeit, sie würden den Menschen in Regimen helfen, sich zu emanzipieren, Meinungsfreiheit endlich wirklich möglich machen, den Schwachen helfen, gegen die Mächtigen aufzubegehren. Es ist anders gekommen. Heute beherrschen ausgerechnet die großen Konzerne und Diktatoren die Klaviatur der Netzwerke und lassen ihre Nutzer an Fäden zappeln wie Marionetten. Nichts ist gut an Social Media.
Der Fluch der Bubble
Wenn ich das schon für Erwachsene, sogar die mutmaßlich mündigen Mediennutzer so rigoros feststelle, dann wird es niemanden wundern, dass ich das australische Social Media-Verbot für Kinder und Jugendliche nicht nur für richtig, sondern sogar für zu wenig weitreichend halte. Aber ja, es ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es natürlich Wege gibt, das Verbot zu umgehen. Das allein macht es aber nicht falsch. Es fördert im Gegenteil eine kritische gesellschaftliche Grundhaltung insgesamt und auch der Eltern. Allein das ist schon wertvoll.
Ich habe drei Kinder. Alles Mädchen im Alter von fünf und zwei Mal zehn Jahren. Ich bin immer wieder überrascht darüber, wie arglos Eltern mit dem Social-Media-Konsum ihrer Kinder umgehen. In der 4. Klasse meiner beiden älteren Kinder wird schon fleißig gewhatsappt, Kinder der 5. und 6. Klassen sehe ich nicht selten mit eigenem Handy und geöffnetem Youtube-Channel vor dem Hort-Tor sitzen. Ehrlich, liebe Eltern, was soll das? So sehr ich auch überlege, es will mir kein Argument einfallen, das Social-Media-Konsum im Grundschulalter rechtfertigt. Wohl aber gibt es viele dagegen.
Algorithmen und Bubbles etwa. Wer kennt das nicht? Wir scrollen durch Instagram, bleiben zehn Sekunden zu lang an einem Video hängen, das irgendwas Absurdes, Skurriles, Schockierendes zeigt – bei mir war es jüngst das Video einer Frau, die gerade eine Beinamputation vornehmen lassen musste und aus dem Krankenbett heraus darüber sprach – und die Konsequenz dieser zehn Sekunden sind zehn Wochen, in denen die Timeline überschwemmt wird mit ähnlichen Videos. Zehn Sekunden, die in meinem Fall dem Algorithmus signalisiert haben: Die Frau interessiert sich für Amputationen.
Niemand soll mich falsch verstehen, das Netz ist auch ein Ort, der Leid und Resilienz thematisieren darf, das ist nicht schlecht. Aber ich komme seitdem nicht mehr an Videos zu diesem Thema vorbei. Dabei interessiert mich das gar nicht besonders. Im Gegenteil, wenn ich ehrlich sein soll. Nun bin ich erwachsen und weiß den Algorithmus ja meinerseits auch bewusst zu beeinflussen.
„Was selbst Erwachsene nicht recht zu steuern vermögen, hat in Kinder- und Teenagerhänden nichts zu suchen.“
Ich kann die Videos konsequent wegschieben und in einigen Tagen ist der Spuk wieder vorbei. Aber wie soll das für Heranwachsende funktionieren, die weit weniger affektkontrolliert durchs Leben gehen, erst recht in der Pubertät? Schönheitstipps, Diätpläne und mal mehr, mal weniger fragwürdige optische Ideale machen mir da schon Sorgen, aber wie ist das erst, wenn die Kinder politische Inhalte sehen und dadurch in Gefangenschaft von Bubbles geraten, die signalisieren, dass es nur eine richtige Haltung zu einem Thema gibt? Gut oder böse. Richtig oder falsch. Kein Grau.
Soziale Medien sind Orte der Polarisierung
Wer ein Gefühl dafür entwickeln will, wie das sein kann, der mag an den Mord an Charlie Kirk erinnert sein und wie er die auch christliche Social Media-Welt gespalten hat in Kirk-Anhänger und -Gegner. Überhaupt sind Soziale Netzwerke natürlich kein Ort für ausgewogene Debatten und Reflexionen. Sie sind Orte der Polarisierung. Des Gegeneinanders. Des Aufwiegelns. Und das wollen wir wirklich unseren Kindern zumuten? Jenen, die schon in der Bitte, das Kinderzimmer aufzuräumen, einen nicht wieder gutzumachenden Affront sehen, der nur mit Türenzuschlagen und Motzigkeit gekontert werden kann? (Eltern Vorpubertierender mögen wissen, was ich meine). Nein, was selbst Erwachsene nicht recht zu steuern vermögen, hat in Kinder- und Teenagerhänden nichts zu suchen.
Nicht umsonst gibt es Altersbeschränkungen für Alkohol, Pornografie und Gewaltdarstellungen. Die übrigens in der Welt von Social Media keinerlei Rolle spielen, wenn es keine entsprechenden Altersgrenzen gibt. Das weiß jeder, der auf X zu viele Videos über das Kriegsgeschehen in der Ukraine geschaut oder sich, um nochmal auf das Thema zu kommen, für den Mord an Charlie Kirk interessiert hat. Wer noch keinen (echten) Menschen online hat sterben sehen, der hebe die Hand. Meine bleibt unten.
Das ist, was wir auch unseren Kindern zumuten, wenn sie soziale Medien nutzen. Ich war nie scharf darauf, Charlie Kirk sterben zu sehen. Habe ich aber. Weil ich nicht schnell genug weggescrollt habe und eine Sekunde zu lang schrecklich fasziniert davon war. Wie geht es da erst 14-Jährigen? Und nun frage sich jeder selbst: Wie viel „Tagesschau“ muten Sie eigentlich Ihren Kindern zu, inklusive Bildern über Krieg und Zerstörung? Im Vergleich zu dem, was in Online-Netzwerken zu sehen ist, sind TV-Nachrichten harmlos.
Nun gibt es immer diejenigen, die rufen: Verbote seien nicht der richtige Weg. Es gehe um Bildung. Medienkompetenz. Wir müssten die Kinder an die Hand nehmen, dann lernen sie den Umgang mit Tweets und Posts. Schön wär’s. Mal abgesehen davon, dass selbst die meisten Erwachsenen keinen guten Umgang mit Social Media pflegen, sei die Frage erlaubt: Glauben wir denn wirklich, alles zu verstehen, was junge Menschen da treiben?
Eine der bewegendsten Serien in diesem Jahr war für mich die Netflix-Produktion „Adolescence“. Darin geht es um den Mord an einem jungen Mädchen, verdächtigt wird ein Mitschüler, der in den vier Folgen im Fokus der Handlung steht. Es ist eine Miniserie über Mobbing im Netz, über falsche Männlichkeitsideale und über missbräuchlichen Konsum Sozialer Medien. Tagelang brüten etwa die Polizisten über den Social Media-Posts und Kommentaren des Verdächtigen, um ein Motiv herauszufinden.
Bis es schließlich den Sohn des Ermittelnden braucht, der seinem Vater die Kommentare der Jugendlichen auf Instagram übersetzt. Smileys und Abkürzungen, die da zunächst harmlos wirken, sind in Wirklichkeit hartes Mobbing. Doch keiner der Erwachsenen versteht die Sprache der Heranwachsenden. Seitdem frage ich mich: Verstehe ich sie? Ich Millennial, die ich denke, mit dem Netz groß geworden zu sein, habe doch in Wirklichkeit kaum eine Ahnung davon, was meine Kinder da tun.
Wer weiß schon, was die Kinder da tun?
Ein Beispiel: Jüngst titelte der „Spiegel“ mit einer Geschichte über Online-Sadisten, die Kinder in den Suizid treiben, indem sie ihnen auf Spieleplattformen Nachrichten schicken, sie in Gruppen einladen und dann so lange unter Druck setzen und mobben, bis sie sich etwas antun. „Roblox“ war eine dieser Spieleplattformen und ich stellte fest: Das haben meine beiden Zehnjährigen auch auf ihren Kindertablets. Die sind extra so eingestellt, dass die Nutzung auf eine Stunde am Tag beschränkt ist, dass sie Lesen und Lernspiele fördert, anstatt sinnloses Gedaddele und so weiter.
Obwohl ich mich für recht reflektiert halte im Blick auf den Medienkonsum meiner Kinder, war mir diese Gefahr völlig unbekannt. Ich wusste nicht mal, dass man in diesem Spiel chatten kann. Ich muss mir also eingestehen: Ich weiß so vieles nicht. Ich kann meine Kinder nicht beschützen in den Tiefen des Netzes. Und so lange sie diesen Schutz brauchen, solange er meine pädagogische, aber auch juristische Pflicht ist als Elternteil, solange kann ich eigentlich nur eins tun: Sie fern halten von dieser abgründigen Welt, die selbst wir Erwachsene kaum durchschauen.
Soziale Medien sind toxisch aus vielen verschiedenen Gründen. Ich wünschte mir eine Welt, in der sie nie erfunden worden wären. Aber die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Mir bleibt nur, meine Kinder so lange es geht, davor zu bewahren. Mit gutem Zureden. Wertevermittlung natürlich. Und nicht zuletzt auch mit Verboten.