Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will einen deutschen Satirebeitrag über sich stoppen lassen. Damit zeigt er einmal mehr, was er von Freiheitsrechten hält. Der diplomatische Eklat sollte Politikern hierzulande eine Warnung sein. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan versteht keinen Spaß, wenn es um ihn und seine Macht geht
Keine zwei Minuten dauert das Lied, dessentwegen der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, zum dortigen Außenminister bestellt wurde. Auf die Melodie von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ hatte die Redaktion der NDR-Satiresendung „extra3“ einen Text über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gedichtet, in dem so viel Satire gar nicht steckte, sondern viel Wahres. Unter anderem heißt es darin: „Ein Journalist, der was verfasst, das Erdoğan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“ Dazu gibt es mehr als ein Beispiel. Auf der Rangliste, auf der die Journalistenvereinigung „Reporter ohne Grenzen“ Länder nach dem Maß der Pressefreiheit einstuft, liegt die Türkei auf Platz 149 von 180. Erst vor einer Woche begann in Istanbul der Gerichtsprozess gegen zwei Journalisten der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet. Spionage und Geheimnisverrat lauten die Vorwürfe, lebenslange Haft droht als Strafe. Sie hatten darüber geschrieben, dass der türkische Geheimdienst Waffen an syrische Rebellen schmuggle. Weil der deutsche Botschafter an diesem Prozess teilnahm, wurde er ebenfalls zum Außenminister zitiert.
Dass der türkische Präsident nun am liebsten auch in die deutschen Medien eingreifen würde, indem er forderte, den Satirebeitrag zu stoppen, zeigt zweierlei: seine Allüren einerseits, und andererseits – und das ist in Kombination mit ersterem bedenklicher – seine Haltung zu Freiheits- und Menschenrechten. Dass er diese nun ausgerechnet wegen eines Beitrags an den Tag legt, der ihn für diese Einstellung kritisiert, ist ironisch wie entlarvend zugleich. Die Bundesregierung musste diese Woche Kritik einstecken, weil sie erst nach einem Tag öffentlich Stellung zu dem Vorfall bezog und es weiterhin vermied, Erdoğan zumindest öffentlich zurechtzuweisen. Immerhin ließ sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit der „Erwartung“ vernehmen, dass ein Partnerland der Europäischen Union „unsere gemeinsamen europäischen Werte teilt“. Das gelte für die Presse- und Meinungsfreiheit ebenso wie für die Kunstfreiheit.
Falsches Spiel mit Werten
Jedoch zeigt nicht nur der aktuelle Fall, dass Erwartung und Realität weit auseinander liegen. Auch Religionsfreiheit ist ein Wert, mit dem es die türkischen Behörden gegenüber Christen und anderen Minderheiten nicht so genau nehmen. In der südostanatolischen Stadt Diyarbakir wurden beispielsweise laut der katholischen Nachrichtenagentur KNA im März alle Kirchengebäude in der Altstadt verstaatlicht und sind nun nicht mehr für Gottesdienste geöffnet. Die in Istanbul geborene deutsche SPD-Politikerin Lale Akgün fürchtet die Nähe der Türkei zu den Terroristen des Islamischen Staates, sagte sie in einem Interview mit dem Domradio. Sie geht davon aus, dass Präsident Erdoğan die Einführung der Scharia anstrebt.
Das ist umso problematischer, als Deutschland und die EU auf die Türkei in der Flüchtlingskrise angewiesen sind. Der kürzlich ausgehandelte Deal, dass die Türkei Flüchtlinge zurücknimmt, die aus ihrem Staatsgebiet illegal nach Griechenland eingereist sind, stellt dem Land am Bosporus im Gegenzug in Aussicht, die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen. Das ist ein falsches Spiel: Wenn sich Deutschland darauf einlässt, verleugnet es seine eigenen Werte. Der jüngste Auftritt Erdoğans sollte unseren Politikern eine Warnung sein, dass seine Ambitionen nicht an westlichen Wertvorstellungen enden. Daher sollten sie sich genau überlegen, wie eng sie sich an ihn binden. (pro)
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