So tickt die neue SPD-Spitze

Die Genossen haben entschieden: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen die SPD künftig führen. Was wollen sie politisch, was glauben sie?
Von Anna Lutz
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken

Der 67-jährige Norbert Walter-Borjans ist der erfahrenere Part des designierten SPD-Führungsduos. Bis zur Abwahl der rot-grünen nordrhein-westfälischen Landesregierung 2017 unter Hannelore Kraft war „Nowabo“ Finanzminister. In diesem Amt brachte es Walter-Borjans als „Robin Hood der Steuerzahler“ zu bundesweiter Bekanntheit, da er CDs mit gestohlenen Daten von Steuersündern kaufte. Im Bundesrat blockierte er ein vom damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits unterschriebenes Steuerabkommen mit der Schweiz, das Käufe weiterer Steuersünder-CDs verhindert hätte. Infolge seiner radikalen Bekämpfung der Steuerhinterziehung hatten sich zudem viele Steuerhinterzieher aus Hoffnung auf Strafmilderung selbst angezeigt. Mehr als sieben Milliarden Euro seien so zusammen gekommen, so die Rheinische Post.

Was seine Haushaltspolitik angeht, war Walter-Borjans weniger erfolgreich. Mehrmals hatte der Verfassungsgerichtshof seine vorgelegten Haushalte für verfassungswidrig erklärt. In seiner Amtszeit von 2010 bis 2017 stiegen die Schulden Nordrhein-Westfalens um fast 30 Prozent auf 174 Milliarden Euro. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel verspottete Walter-Borjans Anfang November daher als „Nowabofakis vom Rhein“, in Anlehnung an den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis.

Walter-Borjans ist „wohlwollend konfessionslos“

Der neue SPD-Chef ist katholisch getauft und diente als Ministrant in der Kirche. Als Student sei er in der katholischen Jugendarbeit engagiert gewesen, sagte Walter-Borjans 2014 in einem Interview. Doch vor etwa drei Jahrzehnten trat Walter-Borjans aus der Katholischen Kirche aus. Ihn störten die von der Kanzel verlesenen Hirtenbriefe, die nach seiner Erinnerung eine klare Wahlempfehlung abgegeben hatten. Als Sozialdemokrat habe er nicht das Gefühl gehabt, willkommen zu sein. In einem Brief an den Kölner Kardinal erklärte er seinen Austritt. „Die Antwort war dermaßen unsensibel, dass ich mich in meiner Entscheidung bestätigt sah.“

Obwohl er der Kirche den Rücken zuwandte, habe sich an seiner „christlichen Grundhaltung“ nichts geändert. Seine vier Kinder, die alle nach seinem Austritt geboren seien, habe er bewusst taufen lassen. „Ich würde sagen: Ich bin wohlwollend konfessionslos.“

Saskia Esken zählt zur Parteilinken und hat damit bereits kurz nach ihrer Wahl für einige empörte Kommentare gesorgt. „Unter diesem Führungsduo scheint mir eine wirtschaftsfreundlichere Aufstellung der SPD eher unwahrscheinlich“, zitierte etwa die Tageszeitung Die Welt den Präsidenten des Verbandes Die Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée. Carsten Linnemann, Chef der Mittelstandsunion, sagte gegenüber der Bild-Zeitung: „Wir dürfen der SPD nicht entgegenkommen.“ Das würde seiner Partei schaden.

Gegen laizistische Trennung von Staat und Kirche

Tatsächlich setzt sich die Digitalpolitikerin Esken für Investitionen in die digitale Infrastruktur und Schulen ein, im Zweifel auch auf Kosten der schwarzen Null, die für die Große Koalition bisher als Common Sense galt. Im Interview mit dem Sender n-tv im Vorfeld der Wahlen zum Parteivorstand sagte Esken, die Große Koalition müsse eine andere Politik anstreben oder enden. Als Beispiel nannte sie die Anhebung des Mindestlohns. Esken ist auch für Nachbesserungen beim Klimapaket. Ein alternatives Bündnis von Rot-Rot-Grün hält sie zumindest für möglich.

Neben ihrer GroKo-kritischen und linken Haltung werfen Kritiker Esken auch vor, nie ein wichtiges Partei- oder Ministeramt inne gehabt zu haben. Die Baden-Württembergerin ist verheiratet, Mutter von drei Kindern, gelernte Informatikerin und seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Calw. Sie ist Mitglied beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Greenpeace, den Naturfreunden, Ver.di und Campact.

Gemeinsam mit ihrem Mitstreiter Norbert Walter-Borjans antwortete sie jüngst auf Fragen der Gruppe Säkulare Sozialdemokrat_innen, bekannte sich dort zum Säkularismus, stellte sich aber auch gegen eine strenge laizistische Trennung von Staat und Kirche. Esken ist für die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, wie es im Grundgesetz vorgesehen ist, und sieht das kirchliche Arbeitsrecht kritisch. Arbeitnehmer ohne sakrale Funktion sollen ihrer Meinung nach auch in kirchlichen Einrichtungen unter das gängige Arbeitsrecht fallen.

Auf abgeordnetenwatch.de erklärte Esken ihre Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Sie sei froh über die Neuregelung des Paragrafen 219a, einem Kompromiss, der nach langem Ringen zwischen SPD und Union im Februar verabschiedet wurde. Demnach dürfen Ärzte auf ihrer Internetseite nun darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen, sie dürfen aber weiterhin keine Informationen über Methoden, Risiken oder Vorgehen veröffentlichen. „Persönlich halte ich es nicht für notwendig, an der Frist für Schwangerschaftsabbrüche etwas zu ändern“, erklärte Esken weiter anlässlich einer entsprechenden Forderung der Jusos.

Von: Anna Lutz und Nicolai Franz

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