„Sippenhaft“ für Ursula Sarrazin?

"Grundschüler wissen heute weniger als vor 20 Jahren", sagt Ursula Sarrazin, Grundschullehrerin und Ehefrau von Thilo Sarrazin. Mit ihren Thesen hat sie eine neue Diskussion angestoßen, die sich weniger um pädagogische Inhalte dreht, als vielmehr um die Methoden der Berliner Lehrerin.
Von PRO

Die Diskussionen um das Buch "Deutschland schafft sich ab" des ehemaligen Bundesbankers Thilo Sarrazin sind kaum zur Ruhe gekommen, da flammt bereits eine neue Sarrazin-Debatte in den Medien auf: Thilo Sarrazins Ehefrau kritisiert das deutsche Bildungssystem. In einem Interview mit dem Magazin "Focus" sagte sie, Schulbücher seien heute "generell anspruchsloser", das Niveau der Texte sei gesunken. Außerdem könnten Kinder sich heute kaum noch an Regeln halten, das sei früher besser gewesen. Viele Kinder schafften es auch nicht, "sich länger als drei Minuten zu konzentrieren", beklagt sie in dem Interview "Verdummen unsere Kinder" in der aktuellen "Focus"-Ausgabe. Ursula Sarrazin unterrichtet seit 30 Jahren Deutsch und Mathematik an Grundschulen. Ihren Unterrichtsstil beschreibt sie als "konsequent". "Ich stelle Regeln auf, an die sich die Schüler halten müssen." Und sie verlange von allen Schülern, dass sie sich anstrengen, sagte sie gegenüber "Focus".

Die 59-Jährige fühlt sich nach eigenen Aussagen "verpflichtet, die Schwächsten zu fördern". Es sei aber in der Sekundarstufe unmöglich, alle Kinder in einer Klasse gemeinsam zu unterrichten, daher bedürfe es stärkerer Differenzierung. Schwache Schüler würden nicht automatisch besser, nur weil sie mit stärkeren Schülern zusammen seien. Sie weist darauf hin, dass Lehrer nicht alle gesellschaftlichen Defizite beheben könnten.

Wie seine Frau spricht sich auch Thilo Sarrazin in seinem vieldiskutierten Buch gegen die Einheitsschule aus: "Die Spannweite individueller Begabungsunterschiede ist riesig und ihr Einfluss auf das intellektuelle Leistungsvermögen und die schulische Leistung weit größer als der Einfluss unterschiedlicher Strukturen von Bildungssystemen oder Schulen von unterschiedlicher Qualität", schreibt er in dem Kapitel "Bildung und Gerechtigkeit" seines Buches "Deutschland schafft sich ab". Wie Thilo Sarrazin selbst schreibt, war seine Frau in "allen Aussagen zur Bildung" ein wichtiger fachlicher Gesprächspartner.

Elternbeschwerden und Kritik

Dass die Mediendebatte um die Thesen der Ursula Sarrazin gerade jetzt geführt wird, könnte allerdings einen anderen Hintergrund haben. Denn an der Berliner Reinhold-Otto-Schule, an der sie unterrichtet, kritisieren Eltern die Unterrichtsmethoden der Lehrerin, einige fordern sogar ihre Versetzung. Jetzt beschäftigt sich die Schulaufsicht mit den Vorwürfen.

Der ehemalige Vorsitzende des Landeselternbeirates Günter Peiritsch hatte die Lehrerin im Januar öffentlich kritisiert. "Kinder weinen, die Schüler werden gedemütigt und angeschrien, wenn sie etwas nicht können. Frau Sarrazin unterrichtet nicht mit pädagogischer Professionalität", sagte Günter Peiritsch gegenüber "Bild am Sonntag". In der "Berliner Morgenpost" kritisierte er, dass Beschwerden von Eltern gegen die Lehrerin seit Jahren im Sande verlaufen, weil die Schulverwaltung sich ganz offensichtlich nicht mit den Sarrazins anlegen wolle. Der "Spiegel" berichtet von einer Sammelbeschwerde, die rund 50 Eltern bereits im März 2009 eingereicht hätten, weil die Lehrerin "die Beherrschung verlieren und die Kinder anschreien würde." Laut Angaben des "Spiegel" hätten sich nach den Medienberichten Dutzende empörte Eltern beim "Spiegel" gemeldet und zahlreiche Vorwürfe gegen Ursula Sarazin erhoben.

Diese weist die Vorwürfe, sie sei autoritär und ungerecht, zurück. "Ich bin konsequent, und stelle Regeln auf, an die die Schüler sich halten müssen", sagte sie gegenüber "Focus". Am vergangenen Sonntag veröffentlichte sie im "Tagespiegel" eine persönliche Stellungnahme. Darin schreibt sie: "Bis heute war von den rund 100 Kindern, die ich gegenwärtig unterrichte, kein Elternteil bei mir, um sich über irgendetwas zu beschweren". Im "Spiegel"-Interview sagte sie: "Ich schrei doch keine Kinder an, ich demütige doch niemanden."

Fragwürdige Unterrichtsmethoden oder Mobbing?

Dass sich Eltern über Lehrer und deren Unterrichtsmethoden beschweren, gehört durchaus zur Tagesordnung an Schulen. Normalerweise findet dies ohne Medienbeteiligung oder großes öffentliches Interesse statt. Im Fall der Lehrerin Sarrazin werden die Vorwürfe in aller Öffentlichkeit diskutiert. Buchautor Thilo Sarrazin spricht offen von einer Mobbingkampagne. Gegenüber "Bild am Sonntag" sagte er: "Ich will nicht ausschließen, dass dabei der Erfolg meines Buches, das sich unter anderem kritisch mit Bildungsfragen auseinandersetzt, eine Rolle spielt. Offenbar wird meine Frau wegen meiner Kritik am Bildungssystem in Deutschland von einigen in Sippenhaft genommen."

Diese Ansicht teilt offenbar auch der Berliner Schulsenator Jürgen Zöllner: "Das Interesse an der Grundschullehrerin Sarrazin speist sich allein aus den umstrittenen Äußerungen ihres Mannes", sagte er im Abgeordnetenhaus. "Darunter leidet die Schule." In einer Pressemitteilung der Bildungsverwaltung heißt es: "Alle in der Vergangenheit bestehenden Beschwerden gegen Ursula Sarrazin hätten nach ihrer Prüfung keine Grundlage für dienstrechtliche Konsequenzen geboten." Senator Zöllner hat den Abteilungsleiter der Operativen Schulaufsicht, Erhard Laube, mit der Überprüfung der Vorwürfe beauftragt.

Der Senator gehe davon aus, dass "durch sorgfältige und unvoreingenommene Prüfung eine Klärung der öffentlich diskutierten Vorgänge erzielt und die notwendige Ruhe für eine konstruktive Schularbeit der Rheinhold-Otto-Grundschule wieder voll und ganz hergestellt werden kann", heißt es in der Pressemitteilung.

Eines ist klar: Sowohl die pädagogische Arbeit als auch die Atmosphäre an der Schule werden durch die öffentliche Aufmerksamkeit sicher nicht gefördert. (pro)

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