„Müssen Neunjährige wissen, was ein Orgasmus ist?“ fragte die Zeitung Kölner Express am Montag und bezog sich damit auf den Sexualkundeunterricht einer Grundschule in dem Kölner Stadtteil Lindenthal. Eltern von Kindern der vierten Klasse hatten sich über unangemessene Unterrichtsinhalte beschwert. Nach Angaben des Kölner Express mussten die Viertklässler als Hausaufgabe ein Arbeitsblatt ausfüllen, das die Kinder dazu aufforderte, einen Orgasmus zu definieren oder den Akt des Geschlechtsverkehrs zu beschreiben und zu zeichnen. Das Oberthema des Blattes lautete: „Wie ist das mit dem Kinderkriegen?“
„Porno-Unterricht“ für Viertklässler?
Viele Eltern hätten sich empört. Ein Vater habe den Unterricht als „Porno-Unterricht“ bezeichnet. Schulleiterin Christine Werner betonte gegenüber dem Express, dass die Eltern zu Beginn des Halbjahres informiert worden seien, dass Sexualunterricht anstehe. Nach Angaben der Zeitung müssten laut Schulordnungsgesetz in Nordrhein-Westfalen die Schulen den Eltern „Ziel, Inhalt und Methoden der Sexualerziehung“ bekannt geben, begründen und die Durchführung des Sexualunterrichts mit ihnen beraten. Nach Ansicht der Eltern seien die Informationen aber nicht ausführlich genug gewesen.
Die erzbischöfliche Schulrätin Andrea Gersch wies darauf hin, dass die Grundschule zwar katholisch sei, sich aber in staatlicher Trägerschaft befinde. Das Erzbistum Köln habe deshalb keinen Einfluss auf den Lehrplan. „Das Schulprofil ist uns natürlich ein Anliegen, aber wir können bei der Ausgestaltung der Unterrichtsinhalte, etwa in der Sexualkunde, nur beratend wirken“, sagte Gersch gegenüber dem Kölner Express.
Das Recht auf Kindheit
Die diplomierte Familienhelferin Regula Lehmann kann die Aufregung der Eltern verstehen. Es entspreche nicht dem natürlichen Entwicklungsstand eines Neunjährigen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. „Sie leben noch in einer Kinderwelt und grenzen sich in diesem Alter von der Erwachsenenwelt ab“, sagte sie gegenüber pro. Es lasse sich nicht pauschal sagen, wann der richtige Zeitpunkt für Sexualerziehung sei. Bei jedem Kind laufe die sexuelle Entwicklung sehr individuell ab. Wenn Kinder von selbst Fragen stellten und sich für das Thema interessierten, sei das für die Eltern oftmals ein Zeichen, dass ihre Sprösslinge reif genug für Erklärungen seien.
Auch das gesellschaftliche Umfeld führe leider häufig zu einem vorzeitigen, nicht altersentsprechenden Interesse am Thema Sexualität. "8-12 jährige Kinder grenzen sich natürlicherweise gegen Sexualisierung ab. Zwingt man ihnen, beispielsweise im schulischen Sexualkundeunterricht, Inhalte auf, vor denen sie sich eigentlich schützen wollten, ist dies kontraproduktiv", gab die Autorin zu bedenken. „Natürlich entwickelte, nicht durch die Gesellschaft sexualisierte Kinder sind häufig erst anfangs oder während der Pubertät bereit, sich mit der Thematik Sexualität näher auseinanderzusetzen“, erklärte Lehmann. Sie betonte das Recht auf Kindheit und kindliche Unversehrtheit und empfahl in dem Alter statt früher Sexualerziehung lieber Werte oder die Gestaltung liebevoller Beziehungen zu vermitteln. (pro)