Eine verloren aussehende Pistenraupe landet in der schneelosen Tiefebene der Gemeinde Seefeld in Schleswig-Holstein. Dabei hätte sie doch nach Seefeld in Tirol gehört. Lustig, wenn es dann auch noch Bilder des Gefährtes im Internet zu bestaunen gibt. Die Presse jubelt: Ein weiteres Mal sind die Klickzahlen für den Tag gesichert. Es ist die ideale harmlose Geschichte über ein Missgeschick, das die eigenen Sorgen für ein paar Momente vergessen lässt. Menschen schicken sich gegenseitig solche Anekdoten gern im Büro herum oder zeigen sie auf ihrem Smartphone vor.
Sachen gibt’s, die gibt es gar nicht, denken viele dann beim Lesen. Stimmt: Denn die Geschichte von der Pistenraupe ist keine echte Nachricht, sondern die Erfindung einer PR-Agentur. Dennoch wurde sie von Medien wie Spiegel Online, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Bild-Zeitung aufgegriffen. Die Werbestrategen dahinter freuen sich: Der örtliche Tourismusverband nutzte diese Aktion, um für Seefeld in Tirol die Werbetrommel zu rühren.
Aufmerksamkeit ist das höchste Gut der PR-Branche
„Jeden Tag tauchen neue Geschichten auf, eine ganze Medienkultur lebt davon“, sagt ein Mitarbeiter der Werbeagentur „Scholz & Friends“, Stefan Wegner, der Süddeutschen Zeitung. Er meint damit den Konkurrenzdruck zwischen den Medien, der sich im Internetzeitalter stark beschleunigt hat. Bei gleichbleibender Anzahl von wahren Geschichten gebe es aber immer mehr mediale Kanäle, die bedient werden wollen. Aufmerksamkeit ist das höchste Gut, besonders in der Werbebranche. Deswegen wünschen sich viele der Kunden von „Scholz & Friends“ einen viralen Hit. Das ist eine erfundene und inszenierte Geschichte, die so ausgefallen und bizarr wirkt, dass sie Menschen über die Sozialen Medien teilen wollen.
Wegner schätzt, dass die Öffentlichkeit ungefähr 90 Prozent solcher Falschmeldungen gar nicht wahrnimmt. Sie werden rechtzeitig als unecht enttarnt oder als nicht originell genug aussortiert. Aber es reicht der gelegentliche virale Hit, um den Aufwand der Werbefirmen zu rechtfertigen.
Wir leben in Zeiten, in denen absichtlich gefälschte Nachrichten zu Werbezwecken oder auch zur Stimmungsmache gleichwertig neben seriös recherchierten Artikel stehen. In den Sozialen Medien ist auf Anhieb häufig gar kein Unterschied mehr festzustellen. Umso wichtiger ist es für Journalisten, Wert auf die Recherche zu legen, sich Zeit zu nehmen und nicht unbedingt der Erste sein zu wollen. Auch dann unterlaufen noch Fehler. Aber es ist wichtig, der PR-Branche journalistische Kompetenz entgegenzustellen. Der Journalistik-Professor Stephan Ruß-Mohl von der Lugano-Universität sagt, in den USA kommen mittlerweile auf einen Journalisten fünf Öffentlichkeitsarbeiter. Dieser Zahlenvergleich erzählt mehr über die aktuelle Medienlandschaft, als es alle falsch zugestellten Pistenraupen dieser Welt tun könnten. (pro)Meinungsmanipulation in den Medien? (pro)
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