Sender ist Österreichs Freikirchen auf der Spur

Die Freikirchen in Österreich erleben einen Aufschwung. Ihre Angebote erreichen viele (junge) Menschen. Der ORF hat in der Reportage „Am Schauplatz“ deren Bandbreite und die Unterschiede zu den Landeskirchen herausgearbeitet. Autorin Tiba Marchetti ist dabei eine faire Dokumentation gelungen. Eine Rezension von Johannes Blöcher-Weil
Von PRO
Bei Gottesdiensten im Christlichen Zentrum Wien soll ein modernes Bild vom Glauben vermittelt werden. Der ORF hat es im Zuge einer Dokumentation über Österreichs Freikirchen besucht.

„Halleluja“ heißt die Reportage, für die ORF-Autorin Tiba Marchetti verschiedene Gläubige, Gemeinden und Gottesdienste von Freikirchen besucht hat. Dabei gelingt es ihr, die wichtigsten Themen darzustellen, mit denen Freikirchen in der österreichischen Gesellschaft anecken. Die Freikirchen sind dort seit sechs Jahren staatlich anerkannt.

Zunächst besucht die Journalistin eine Freikirche der Pfingstbewegung. Sie ist die größte der fünf anerkannten Freikirchen in Österreich. Marchetti ist bei einer Erwachsenentaufe mit dabei und fragt die Getauften, warum dieser Schritt für sie so wichtig war. Gemeinsam mit Pastor Gerhard Kisslinger geht es dann in das Christliche Zentrum Wien. Zwischen den Gottesdiensten der der afrikanischen und der philippinischen Gemeinde gewährt der Theologe einen Einblick in das Gotteshaus. Er erklärt dem Zuschauer, was es mit dem „Zehnten“ auf sich hat und warum Spenden für die Gemeinden so wichtig sind.

Bibel enthält viele gute Ratschläge

Danach geht es in einen evangelikalen Hauskreis. Marchetti kündigt den Zuschauern an, dass es sich dort um Gläubige „mit sehr konservativen Werten und einer rigiden Sexualmoral“ handelt. Mit Pastor Tom Gangl diskutierten sie das Thema Homosexualität. Für die Anwesenden ist das eine Sünde: „Aber wir sind auch Sünder“, sagt ein Gast. Auch das Rollenbild mit einem starken Mann und einer Frau, die in ihm einen starken Halt findet, ist an diesem Abend Thema.

Der Wiener Religionswissenschaftler Hans Hödl benennt sachlich, dass moralische Anweisungen aus der biblischen Zeit aus seiner Sicht nicht in die heutige säkulare Welt passen. Dazu gehörten das Verbot von vorehelichem Geschlechtsverkehr, Selbstbefriedigung und die Ablehnung homosexueller Lebensformen. Pastor Gangl erzählt, warum er seiner Frau zu 100 Prozent vertrauen kann: „Es macht viel aus, sich nach einem Konflikt vergeben zu können und einen Neuanfang zu starten.“ Die Regeln der Bibel empfindet er nicht als Einschränkungen, sondern als gute Ratschläge.

Zu Wort kommt auch die Tochter von Pastor Kisslinger, die bald die Gemeinde ihres Vaters leiten soll. Im Film wird sie als „Aushängeschild der Bewegung“ bezeichnet. Sie hat sich schon als Jugendliche im Fernsehen dazu bekannt, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten. Ihr und ihrem Mann Martin ist es wichtig, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist und dass „Gott schon immer da war“ – egal ob bei einem Urknall oder einer Schöpfung in sieben Tagen.

Besuch bei monatlichen Heilungsgebeten

Kritik äußert der Beitrag an einer Familie der „Church of God“. Ihre Tochter musste sterben, weil die Familie einen Arztbesuch ablehnte und stattdessen für Heilung betete. Auch Menschen, die in sogenannte Boot Camps fahren, um dort zu lernen, Andere zu missionieren, werden kritisiert. Sehr sachlich berichtet Marchetti über die monatlichen Heilungsgebete in Wien. Dort müssen die Besucher einen Zettel unterschreiben, dass dies nicht den Arztbesuch ersetzt. Auch Menschen, die ergriffen vom Heiligen Geist, umfallen, kommen zu Wort – und die Doku ohne kritische Kommentare aus.

Die Redakteurin stellt fest, dass die Gemeinden vor allem junge Menschen anziehen. Die befragten Jugendlichen bezeichnen ihre Gemeinde als „große Familie“, „keine Religion, sondern ein Lifestyle“, mit „einem Gott, der das Beste will“. Der Generalsekretär der österreichischen Baptisten Walter Klimt sieht seine Freikirche als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Ausprägungen.

„Es besteht eine Sucht nach Wundern“

Die Dokumentation zeigt Menschen, die mit Gott Wunder erlebt haben und dafür auf die Straße gehen, um anderen davon zu erzählen und für ihre Heilung zu beten. Die Geheilten sind davon überzeugt, dass Jesus Wunder tut, wenn man ihn darum bittet. Die Frau eines geheilten Krebspatienten versteht es, wenn Ärzte auf solche Heilungen skeptisch reagieren. „Es hört sich wie ein Märchen an, ist aber wahr.“ Die Mitarbeiterin der Sektenstelle sieht das kritisch. Ein Wunder werde als Beweis dafür gewertet, dass der Glaube stimmt. Sie bezeichnet es als „Wunder-Sucht“.

Der Beitrag verdeutlicht, wie wichtig es den Gläubigen ist, jeden Tag für verfolgte Christen oder die Regierung zu beten. Den einen oder anderen spitzen Kommentar hätte sich der ORF sparen können. Etwa, dass Kisslinger beim ersten Rendezvous mit ihrem Mann Bibel gelesen hat oder in der sehr wertenden Anmoderation von Peter Resetarits, der davon spricht, dass die eigene Redakteurin „Bekehrungs- und Heilungsversuchen konsequent widerstanden“ hat. Aber das ist auszuhalten. Gezeichnet wird ein Bild von Menschen, die ihren Glauben weitertragen möchten.

Natürlich bohrt die Dokumentation bei Fragen nach, die gesellschaftliche Reizthemen sind. Aber sie erlaubt den Gesprächspartnern auch zu erklären, wie für sie Glaube und Gemeinde ist. Die Gemeinden werden als Ort dargestellt, die Zugehörigkeit vermitteln. Von daher sind die 45 Minuten „Am Schauplatz“ eine gute Begegnung mit Menschen, die den Glauben auf unterschiedliche Weise erlebbar machen möchten.

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