„Selbstradikalisierung“ über das Internet nimmt zu

Am 31. August hat der Prozess gegen den Attentäter vom Frankfurter Flughafen, Arid Uka, begonnen, der Anfang März dieses Jahres zwei US-Soldaten getötet hatte. Der Fall gilt als erster Anschlag mit islamistischem Hintergrund auf deutschem Boden. Außerdem ist er Beleg für die zunehmende Bedeutung des Internets bei der politischen Radikalisierung.
Von PRO

Die "New York Times" sprach mit Abou Maleeq, einem der bekanntesten islamistischen Prediger in Deutschland, dessen Internet-Botschaften Arid Uka zur Tat verleitet haben sollen. Wie die Zeitung berichtet, habe der 21-jährige Angeklagte vor Gericht in einer umfassenden Erklärung zugegeben, dass seine Tat im Wesentlichen durch Videos und Lieder inspiriert sei, wie sie der islamistische Prediger Abou Maleeq im Internet verbreitet. Insbesondere ein Video, das er am Vorabend der Tat auf Maleeqs Facebook-Seite gefunden und heruntergeladen habe, sei der entscheidende Anlass für die Tat gewesen. Das Video, das auch dem Gericht vorgeführt wurde, zeigt die Vergewaltigung einer muslimischen Frau durch US-Soldaten. Auf dem Weg zum Tatort habe er islamistische Hymnen, mitunter aus Maleeqs Feder, auf seinem iPod gehört, die ihn zusätzlich in wütende Stimmung versetzt hätten.

Als Sprachrohr radikalislamischer Botschaften ist Abou Maleeq den Sicherheitsbehörden nicht erst seit dem Frankfurter Attentat bekannt. Der gefragte Prediger und Redner war vor seiner Hingabe zum Islam als Rapper unter dem Namen "Deso Dogg" besonders in Deutschland populär. In der Musik und auch als Mitglied einer Berliner Straßengang habe er Identität gesucht. Doch erst der Islam habe ihm wirklichen Halt gegeben. Seine Glaubenswende war dann konsequent und wird durch den neuen Namen versinnbildlicht. Er brach mit seiner Vergangenheit, sagte sich los von seinem Leben als Gangmitglied und Rapper.

Musikalisch aktiv ist Abou Maleeq allerdings auch weiterhin, nun handelt es sich um islamistische Lieder und Hymnen in deutscher Sprache, gelegentlich versehen mit arabischen Wendungen. Diese Lieder unterstreichen die eindeutige Botschaft seiner Predigten und Reden, die er auch gegenüber der "New York Times" wiederholte: Angesichts der Bedrohung des Islam durch den Westen seien Muslime in die Pflicht genommen, am Dschihad teilzunehmen und gegen die "westliche Verschwörung" zu kämpfen.

In dem Interview bestritt Denis Cuspert, wie Maleeq mit bürgerlichem Namen heißt, zwar eine direkte Verbindung zum Frankfurter Attentäter. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass er das Attentat gutheißt. Immerhin habe es sich nicht um Zivilisten gehandelt, sondern um Soldaten, die auf dem Weg gewesen seien, Muslime zu töten. Darüber hinaus, so die "New York Times", mache er in seinen Reden deutlich, sein derzeit größter Wunsch sei der Tod des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, angeblich ein Feind des Islam.

Eine neue Form des Extremismus

Derart radikale Äußerungen, dazu ein Lebensweg, der vielen Jugendlichen imponiere, machten Cuspert alias Abou Maleeq zu einer einflussreichen Person, die auch außerhalb Deutschlands ihre Wirkung nicht verfehle, sagte ein Beobachter der Szene dem amerikanischen Blatt. Jugendliche würden durch seine Vorbildfunktion zudem zur unkritischen Aufnahme dieser Botschaften verleitet. Dem Sprecher einer amerikanischen Sicherheitsbehörde zufolge würden Männer wie Maleeq ihr Publikum zunächst mit ihren Liedern an sich binden. Viele wüssten dabei nicht, dass diese Videos vom Salafismus, einem fundamentalistischen Zweig des Islams, inspiriert seien. Die durch die Lieder bereits empfängliche Hörerschaft werde dann in die Ideologie des Salafismus eingeführt.

Auch der Frankfurter Attentäter wird sich im Lebensweg Maleeqs wiedergefunden haben: In seiner Stellungnahme ließ er das Gericht wissen, er habe in einer Phase der Depression und Einsamkeit, die kurz vor dem Abitur auch zum Schulabbruch führte, in den radikalislamischen Botschaften im Internet Halt gefunden. Außerdem hätten ihm Computerspiele die Möglichkeit gegeben, sich ein Stück weit aus der realen Lebenswelt zurückzuziehen, gibt ihn die "Frankfurter Neue Presse" wieder. Wie die "Tageszeitung" zu berichten weiß, sei sein schleichender Wandel der Familie, Freunden und Bekannten indes nicht aufgefallen. Im Gegenteil habe man Arid Uka als einen ruhigen Jungen wahrgenommen, der zudem mit seiner Anstellung beim "Grünen Halbmond" im Bereich der Altenpflege soziales Engagement zeigte.

Bei dem entscheidenden Videoclip handelt es sich um den Ausschnitt aus dem amerikanischen Antikriegsfilm "Redacted" (2007), der die Handlungen von US-Soldaten im Kriegseinsatz kritisch beleuchtet. Besagte Vergewaltigungsszene beruht auf einer wahren Begebenheit, für die die Täter bereits gerichtlich belangt wurden. Arid Uka ist es allerdings entgangen, dass die Szene nachgestellt ist, er hielt sie für den Mittschnitt einer echten Tat. Dieser Eindruck sei es letztlich gewesen, der ihn in seinem Hass bestärkt habe und zur Tat schreiten ließ.

Der Fall folge einer Tendenz, die Verfassungsschützer auch anderweitig beobachten, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Sie sprechen daher von einer neuen Form des Extremismus, deren entscheidendes Merkmal die "Selbstradikalisierung" über das Internet sei. Anstatt auf Organisationen oder Komplizen zurückzugreifen, ideologisieren sich hierbei Einzelpersonen durch die ständige Beschäftigung mit einschlägigen Websites selbst und führen auch die daraus motivierten Anschläge eigenständig durch, berichtet "tagesschau.de". Dies erschwere es den Behörden, eine Gewalttat rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Auch wenn die Politik ihre Anstrengungen im Kampf gegen diesen Trend ausweiten werde, könne die Verbreitung dieser Internetseiten kaum unterbunden werden. (pro)

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