Selbstmord bei Christen?

Protestanten begehen eher Selbstmord als Katholiken. Diese These haben die Ökonomen Sascha Becker und Ludger Wößmann aufgestellt. Der Artikel "Die Ökonomie des Suizids" in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) erklärt, wie diese Erkenntnisse zustande kommen.
Von PRO

Becker und Wößmann untersuchen seit längerem den Einfluss der Konfessionen auf menschliches Verhalten. Bei der aktuellen Untersuchung legen sie die "Ökonomische Theorie des Suizids" zugrunde. Diese geht davon aus, dass ein Mensch sich für die Selbsttötung entscheidet, weil er den Nutzen des Weiterlebens mit dem des Todes vergleicht. Der "Homo oeconomicus" wäge ab, ob Selbsttötung seinen Nutzen steigert oder nicht. Ein Erklärungsmodell, das sich nicht nur absurd anhört, sondern auch umstritten ist.

Protestanten bringen sich häufiger um als Katholiken, weil der Nutzen des Freitods für Protestanten höher sei – diese These haben die Ökonomen Becker und Wößmann empirisch untersucht. Für ihre Studie "Knocking on Heavens Door? Protestantismus und Selbstmord" haben sie Daten aus Preußen im 19. Jahrhundert untersucht und fanden signifikante Unterschiede zwischen den Konfessionen. Damals lag die Selbstmordrate von evangelischen Christen bei rund 18 von 100.000 Einwohnern, bei den Katholiken waren es nur 6,5.

Dies erklären die Ökonomen damit, dass zwar sowohl evangelische als auch katholische Christen an ein Leben nach dem Tod glauben, der Suizid für Katholiken aber als Todsünde gelte. "Der Katechismus der katholischen Kirche stuft den Verstoß gegen das fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten") als Todsünde ein, welche – ohne vollkommene Reue und Buße im Bußsakrament – die Höllenstrafe nach sich zieht. Weil die Gewährung dieses Sakramentes im Fall der Selbsttötung nicht mehr möglich sei, befinde sich ein katholischer Selbstmörder nach diesem Verständnis auf dem direkten Weg in die Hölle, erklärt "FAS"-Autor Werner Nussler.

Gnade kann man weder erkaufen noch erdienen

Nach protestantischer Lehre hänge es dagegen einzig von der Gnade Gottes ab, ob der Mensch in den Himmel komme. Denn Gnade können Menschen sich weder erkaufen noch erdienen. Dies bedeute, dass ein Suizid auf das Seelenheil evangelischer Christen keine Auswirkung habe. Becker und Wößmann verweisen auf den evangelischen Theologen Karl Barth: Laut dessen Dogmatik seien "Fälle denkbar,  in denen Gott die Selbsttötung geradezu verlange – dass also der Mensch im Frieden mit Gott Suizid begehen könne". Das mache es plausibel, dass sich Protestanten eher umbringen als Katholiken.

Da allerdings der Einfluss der christlichen Lehre auf menschliches Verhalten schwinde, wären die Ergebnisse der Untersuchung nicht so signifikant ausgefallen, wenn Becker und Wößmann für ihre Studien Material aus dem 20. Jahrhundert untersucht hätten, schreibt "FAS"-Autor Nussler. (pro)

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