Selbsthilfe statt Sucht: 80 Jahre Anonyme Alkoholiker
Ein Börsenmakler und ein Chirurg schütten sich gegenseitig ihr Herz über ihre Alkoholsucht aus. Damit legten sie vor 80 Jahren den Grundstein für die Selbsthilfegruppe Anonyme Alkoholiker. Auch wenn die Gruppe keiner Konfession angehört, liegt ihre Tradition im christlichen Bereich.
Von PRO
Foto: TrafficJan82 / Wikipedia
Die Flasche bleibt zu: Das ist das Ziel Alkoholkranker, die Heilung suchen
Es ist die wohl bekannteste Selbsthilfegruppe für Suchtkranke: die Anonymen Alkoholiker, kurz AA. Selbst definieren sie sich als „eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die einander dabei unterstützen, ihre eigenen Probleme mit dem Alkohol in den Griff zu bekommen und anderen Alkoholikern zur Trockenheit zu verhelfen“.
In der Präambel der Anonymen Alkoholiker steht: „Die Gemeinschaft AA ist mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution. […] Unser Hauptzweck ist, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen.“
Die Anfänge der Gemeinschaft sind dennoch christlich geprägt. Der 10. Juni 1935 gilt als der Gründungstag der Gemeinschaft, was auf eine Begegnung zwischen dem Chirurgen Bob Smith und dem Börsenmakler Bill Wilson zurückgeht. Beide litten schwer unter dem Alkoholismus. Sie stellten fest, dass ihr Trinkzwang schwand, als sie sich offen über ihre Krankheit unterhielten.
Sucht zerstörte Karriere und Ehe
Wilson war in den 1930er Jahren ein aufstrebender Börsenmakler an der Wall Street. Seine Alkoholsucht zerstörte aber sowohl seine Karriere als auch seine Ehe. Wegen seiner Sucht landete er immer wieder im Krankenhaus. Schließlich lud ihn ein Freund zu einer christlichen Selbsthilfegruppe ein. In einer Klinik übergab er sein Leben Gott, hatte ein Erweckungserlebnis und sah ein helles Licht. Dieser Moment habe sein Leben verändert.
Wilson schrieb später in dem sogenannten Blauen Buch, das den Anonymen Alkoholikern heute als Standardwerk dient, wie n-tv zitiert: „Schonungslos bekannte ich mich zu meinen Sünden und war bereit, sie von diesem neu gewonnenen Freund mit Stumpf und Stiel von mir nehmen zu lassen. Seitdem habe ich keinen Alkohol mehr getrunken.“
Erneute Versuchung
Im Mai 1935 auf einer Geschäftsreise nach Ohio spürte er erneut die Versuchung, Alkohol zu trinken. Er kaufte sich aber keinen Alkohol, sondern hatte das Bedürfnis, sich mit einem anderen Alkoholkranken zu unterhalten, um abstinent zu bleiben. Wilson wandte sich an die Kirchengemeinde in Akron, Ohio. Eine Frau brachte ihn mit Bob Smith zusammen, einem alkoholabhängigen Chirurgen, der drohte, Arbeitsstelle und Familie zu verlieren. Das Gespräch der beiden Männer dauerte sechs Stunden. Sie merkten, dass ihnen der offene Austausch im Umgang mit ihrer Sucht gut tat.
Wilson zog bei Smith und seiner Frau Anne ein. Auf der Suche nach Heilung schloss er sich Smith und dessen Frau an bei den Treffen der Oxford-Gruppe mit morgendlichen Beratungen und Bibel lesen. Die Oxford-Gruppe ist eine überkonfessionelle Erweckungsbewegungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkten in den USA und England.
Wenige Wochen später wurde Smith ein weiteres, letztes Mal rückfällig. Wilson kam ihm zur Hilfe. Der Arzt trank am 10. Juni 1935 das letzte Mal Alkohol. Dieses Datum sehen die Mitglieder der Anonymen Alkoholiker als den Gründungstag ihrer Gemeinschaft an.
Methoden der Oxford-Gruppe übernommen
Wilson und Smith initiierten Selbsthilfegruppen in Akron und New York. Dabei übernahmen sie von der Oxford-Gruppe einige Methode, wie etwa Treffen abzuhalten, in denen Betroffene von ihren Erfahrungen berichten. Aus der Oxford-Gruppe traten sie später aus. Wilson schrieb in seiner Biografie „Pass it On“, dass er den Umgang der Gruppe mit dem Evangelium aggressiv fand.
Ein spirituell untermauertes Zwölf-Schritte-Programm soll den Betroffenen aus ihrer Sucht helfen. Die Umorientierung zur Abstinenz trägt Züge einer religiösen Konversion. Nach dem Selbstverständnis der Gründer ist es ein spirituelles Programm.
Im November 1953 fand das erste Meeting, wie die Anonymen Alkoholiker ihre Treffen nennen, in Deutschland in München statt. Die Initiative zur Gründung ging von Angehörigen der US-Streitkräfte aus. Heute gibt es die Anonymen Alkoholiker in rund 185 Ländern weltweit, heißt es in einer Mitteilung der Gruppe. Die Anonymität ist das grundlegende Prinzip für Mitglieder der Anonymen Alkoholiker. (pro)
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