Schneiders Vertrauensfrage

Wer Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, sollte sich mit dem Gottvertrauen auskennen. Nikolaus Schneider hat nun gemeinsam mit seiner Frau Anne ein Buch darüber geschrieben. Das Ehepaar hat sein gemeinsames Werk am Montag in Berlin vorgestellt und erklärt, wie die Gesellschaft Vertrauen neu lernen kann – auch in Zeiten der Wirtschaftskrise.

Von PRO

„Ich muss zum Glück diesen Kampf nicht alleine kämpfen, sondern werde ganz viel gehalten, gestützt und getragen. Gott gehört auch zu den tragenden Händen. Ihr alle wisst, dass ich weder nach dem tieferen Sinn hinter meiner Krankheit suche, noch wütend auf Gott bin oder generell mit ihm hadere.” Diese Worte schrieb Meike Schneider 2003 auf. Vier Monate nach ihrer Diagnose Leukämie im Alter von 21 Jahren. Zwei Jahre später starb die Tochter von Anne und Nikolaus Schneider. Das Ehepaar bezeichnet sein „Dennoch-Vertrauen” in Gott als entscheidende Kraftquelle im Leben. „Und weil wir uns bei allem, was in der Welt geschieht und was uns widerfährt, von Gott und geliebten Menschen begleitet wissen, kann nichts und niemand unsere Lebenszuversicht endgültig und unwiderruflich zerstören. Wir können einander halten, weil wir gehalten sind”, schreiben Schneiders in ihrem neuen Buch „Vertrauen – Was in unsicheren Zeiten wirklich trägt”.

Bei der Buchvorstellung am Montag verwies Anne Schneider bei der Frage nach ihrem Weg zu mehr Gottvertrauen auf das Evangelium. Wenn man wisse, dass Gott grundsätzlich ja zu einem sage, ohne Ansehen der Schwächen, „dann bricht mir nicht alles weg unter den Füßen”, dann könne der Mensch einen „Vertrauensvorrat” anlegen. In diesem Sinne rief Nikolaus Schneider die Kirche zu mehr Mission auf: Kernaufgabe der Christen sei es, das Evangelium durch die Zeit zu tragen. Die Kirche habe lange versucht, funktional für die Gesellschaft zu sein, durch Diakonie, durch Bildungsarbeit, als Kulturfaktor. Wesentlich aber sei: „Kirche ist wichtig wegen ihrer Botschaft.”

Politische Positionen nicht aus Gottes Wort ableiten

Doch Anne und Nikolaus Schneider stellen in ihrem Buch auch fest: Zum Vertrauen gehört die Tat. Christen und die Kirchen müssen sich – mit Blick auf Gott – ins politische Geschehen einmischen, auch wenn das nicht immer einfach ist: „Egal ob es um Präimplantationsdiagnostik, Sterbehilfe, Anerkennung von homosexuellen Lebenspartnerschaften oder um konkrete Fragen der Energiewende, der Steuergerechtigkeit, des Asylrechts, der Hilfen für überschuldete Länder in der Eurozone oder der Auslandseinsätze unserer Bundeswehr geht: Es gibt keine eindeutigen christlichen Positionen, die sich widerspruchsfrei aus dem Wort Gottes ableiten ließen.” Krisen, in denen es nach der Stimme der Christen verlangt, sehen Schneiders etwa im Wohlstandsgefälle. „Während wir die Wahl zwischen zahlreichen Sorten exotischer Früchte haben und Fleisch so billig ist wie nie, verhungern oder verdursten auf der anderen Seite der Erde täglich tausende von Menschen. Wir sind stolz darauf, Jeans oder T-Shirts für weniger als 10 Euro zu erwerben. Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass diese billige Kleidung für uns mit Hungerlöhnen und krankmachenden Arbeitsbedingungen in armen Ländern erkauft ist. Um Armut zu finden, brauchen wir zudem nicht weit zu gehen. In Portugal, in Spanien, in Griechenland, in Rumänien – überall herrscht große Not. Aber auch in unserem Land ist eine Notversorgung durch ‚Tafeln‘ und kostenlose Schulfrühstücke zunehmend erforderlich.” In der Krise der Europäischen Gemeinschaft brauche es dringend ein entschlossenes, gemeinsames Handeln – in ökumenischer Verbundenheit, auch mit den Orthodoxen Kirchen.

„In Zypern wird offensichtlich gezockt und gepokert”

Für Nikolaus Schneider ist Vertrauen „eine Art Lebenselixier”, wie er am Montag erklärte. Bezug nehmend auf aktuelle Ereignisse nannte er die Finanzkrise in Zypern eine „große Vertrauenskrise”: „Da wird offensichtlich gezockt und gepokert.” Anleger und Kunden hätten im Zuge der weltweiten Finanzkrise das Vertrauen in Banken verloren, weil Wirtschaft so etwas wie „kalter Krieg” geworden sei, erklärte der Ratsvorsitzende weiter. In der Gesellschaft müsse eine neue „Waage zwischen Vertrauensseligkeit und einem kritischen Vertrauen” gefunden werden. Im Buch schreibt er: „Es muss uns alle verstören, dass Menschen in der Finanzwelt ganz offensichtlich andere Maßstäbe für sich in Anspruch nehmen, als sie für ‚Normalbürger’ im gesellschaftlichen Zusammenleben gelten – und auf deren Einhaltung wir vertrauen.” Er fordert eine Politik, „die Finanzakteure so zügelt und Finanzstrukturen so steuert, dass sie nicht der Bereicherung einzelner, sondern dem Leben vieler Menschen dient”.

Göring-Eckardt will Glauben im Alltag nicht ablegen

Auch die Spitzenkandidatin von Bündnis 90’/Die Grünen bei der Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, war gekommen, um das Buch von Anne und Nikolaus Schneider vorzustellen. Sie erklärte, sie könne ihr Leben nicht ohne Gottvertrauen leben. Dazu gehöre aber auch der Zweifel. „Protestanten geben zu, dass sie zweifeln, das unterscheidet uns von manch anderen”, sagte sie. „Natürlich kann man nicht mit der Bibel in der Hand Politik machen, nicht mal bei ethischen Fragen.” Ablegen könne man das Christsein als Politiker aber auch nicht. Sie lebe täglich in der Hoffnung, dass sie ihren Glauben auch im politischen Alltag nicht vergesse.

In ihrem Buch fordern Anne und Nikolaus Schneider aber nicht nur mehr Vertrauen in Politiker und ein ethisch integeres Handeln. Das Ehepaar macht auch vor den Kirchentüren nicht halt und spricht sich für mehr christliche Authentizität aus: „Die Botschaft von der Menschennähe und Menschenliebe Gottes kann doch gar nicht glaubwürdig ‚rüberkommen’, wenn das ‚kirchliche Personal’ keine Menschennähe und Menschenliebe ausstrahlt.” Weiter heißt es: „Ich bin davon überzeugt: Das Vertrauen in die Politik und in die christlichen Kirchen wird nicht dadurch zerstört, dass die dort Agierenden Fehler machen. Aber es wird zerstört, wenn die Einsicht in eigenes Fehlverhalten bei den handelnden Personen nicht vorhanden ist.” (pro)

Anne und Nikolaus Schneider: „Vertrauen”, adeo, 176 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 9783942208789

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