Schlappe für Big Brother: Keine Speicherung von Kommunikationsdaten

Seit zwei Jahren müssen die Telekommunikationsanbieter in Deutschland praktisch alle Daten über die Kommunikation der Bürger für sechs Monate speichern. Viele Gegner dieses Gesetzes dürfen sich nun freuen: Am Dienstag erklärte das Bundesverfassungsgericht die Datenspeicherung für unvereinbar mit der deutschen Verfassung.
Von PRO
Ob Telefonate über das Festnetz oder Mobiltelefone, ob E-Mails, SMS oder Faxe: der Staat wollte stets die Möglichkeit haben, für sechs Monate im Nachhinein darüber Bescheid zu wissen, wer mit wem, wo, wann und wie lange kommuniziert hat. Die Inhalte der Kommunikation durften nicht gespeichert werden, und damit auch nicht, welche Internetseiten von den Nutzern aufgerufen werden. Nach Ablauf der Speicherungspflicht von sechs Monaten sollten die Daten innerhalb eines  Monats gelöscht werden.

Das Gesetz geht zurück auf eine Richtlinie des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 2006. Das Speichern der Telekommunikationsverkehrsdaten diene der Strafverfolgung sowie der Gefahrenabwehr.

In einem freien Staat ist das undenkbar, protestierten Gegner dieses Gesetzes. Im umfangreichsten Massenklageverfahren in der Geschichte des Gerichts hatten fast 35.000 Bürger Beschwerde gegen das seit 2008 geltende Gesetz eingelegt. Nun gaben ihnen die deutschen Verfassungsschützer Recht. Die Speicherung der Verbindungsdaten müsse eine  Ausnahme bleiben, so die Richter.

Massenspeicherung ohne Verhältnismäßigkeit

In dem Urteil heißt es, dass eine Speicherungspflicht nicht grundsätzlich verfassungswidrig sei. Allerdings mangele es an Verhältnismäßigkeit. Die Richter kritisieren die unverhältnismäßige "Streubreite" einer kompletten Speicherung der Verkehrsdatenspeicherung aller deutschen Bürger.

Außerdem sei eine hinreichende Datensicherheit nicht gewährleistet. Soll heißen: Niemand könne garantieren, dass die gesammelten Daten nicht irgendwann gestohlen und dann missbraucht würden. Die Richter bemängeln zudem die anlasslose Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten. Es würde eine riesige Menge an Informationen über Bürger gesammelt, ohne dass auch nur der Verdacht einer Straftat vorliegt.

Selbst wenn die Inhalte der Kommunikationen nicht gespeichert würden, seien die gesammelten Daten ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Bürger. "Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen", schreiben die Richter in ihrer Urteilsbegründung.

Die Verfassungsrichter machen noch auf ein anderes Problem aufmerksam: Da die Speicherung der Daten für die Bürger unbemerkt vonstatten gehe, könne ein "diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins" entstehen. Und das beeinträchtige die "unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte". Die Richter weisen auf Berufsgruppen hin, bei denen die "besondere Vertraulichkeit" bei den Kommunikationsverbindungen bedeutend ist, etwa bei "Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen  Bereichen" oder Seelsorge.

"Datensammelwut außer Rand und Band"

Der Rechtsanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), der einer der Kläger gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war, hatte vor der Urteilsverkündung im ARD-Morgenmagazin die "Datensammelwut" angeprangert, die mit dem Gesetz "außer Rand und Band" geraten sei. "Wir verändern den freien Charakter unserer Gesellschaft, wenn wir uns auf diesen Weg begeben", so Baum. Auch das Argument, mittels der Datenspeicherung könnten Verstöße gegen das Verbot von Kinderpornographie leichter aufgedeckt werden, lässt der Anwalt nicht gelten.  Denn, so seine Begründung, es gebe schon jetzt wirksame Mittel gegen derartige Kriminalität. Baum fügte angesichts der Hoffnung, die Kommunikationsdatenspeicherung auch auf Delikte im Musikhandel auszuweiten, hinzu: "Was hat eigentlich die Musikindustrie mit der Terror-Bekämpfung zu tun?"

Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach hingegen verteidigte das Gesetz. Es diene der Terrorbekämpfung, die besonders nach den Anschlägen von Madrid und London akut geworden sei. Terroristen wie etwa die "Sauerland-Gruppe" könnten durch die Datenspeicherung leichter zu entdecken und zu bekämpfen sein. Bosbach verwies zudem darauf, dass bisher kein Fall von Missbrauch des Gesetzes bekannt geworden sei.

Kritiker hingegen argumentieren, dass maximal zwei Prozent von Kriminalfällen durch die Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden konnten. Außerdem behaupten sie: Wer sich über terroristische Aktivitäten austauschen wolle, könne das sicherer tun als über Handy und E-Mail. Verschlüsselungsprogramme für E-Mails gibt es kostenlos und sind kinderleicht zu bedienen, und zur Not gibt es ja noch den guten alten Brief. (pro)
http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-011.html
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