Unter dem Motto „Schwul, lesbisch, hetero - wirklich selbstverständlich?“ haben die Talkgäste von Moderator Wieland Backes am Freitagabend im SWR-Nachtcafé diskutiert. Dabei kam es zum verbalen Schlagabtausch zwischen dem Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz und dem Kultusminister von Baden-Württemberg.
Von links: Gabriel Stängle, Hartmut Steeb, Stefan Kaufmann, Ines Pohl und Wieland Backes
Backes hatte zwei Unterstützer der Online-Petition gegen den Bildungsplanentwurf der grün-roten Landesregierung von Baden-Württemberg eingeladen: Gabriel Stängle, den Initiator der Petition, sowie Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Die anderen sieben Gäste sprachen sich gegen die Petition aus. Darunter waren Ines Pohl, die Chefredakteurin der Tageszeitung taz, die selbst lesbisch ist, und der homosexuelle Bundestagsabgeordnete der CDU-Fraktion, Stefan Kaufmann.
Die von dem evangelischen Realschullehrer Gabriel Stängle gestartete Petition „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“ hat bereits 160.000 Unterschriften. Im SWR-Talk vertrat der Pädagoge seine Position: „Ich bin sehr für Toleranz, dass wir diesen Wert in unserer pluralistischen Gesellschaft leben. […] Dazu gehört auch der gegenseitige Respekt und die Toleranz von anderen Lebensstilen wie von Homosexuellen.“ Allerdings hebe der Bildungsplan eine einzelne „Gruppe heraus unter dem Schlagwort der Akzeptanz sexueller Vielfalt“. Toleranz sei für ihn, ein anderes Werturteil für sich persönlich zu leben, aber dem anderen in Respekt, Offenheit und Wertschätzung zu begegnen.
Andreas Stoch (SPD), Kultusminister von Baden-Württemberg, ärgert an der Petition, „dass sie mit Unterstellungen arbeitet und Ängste“ schüre. Gleichzeitig freute er sich über die nun geführte Debatte, die seiner Meinung nach „dringend notwendig“ war. Das Papier, das Stängle zur Formulierung seiner Petition motiviert hat, sei laut Stoch nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen. Es sollte lediglich der Fachkommission, die den Bildungsplan erarbeitet, eine Richtung vorgeben. Zu den darin angeführten fünf Leitprinzipien, gehöre nicht die „sexuelle Vielfalt“. Weiter erläuterte der Kultusminister: „Wir stellen Ehe und Familie als einen Grundwert, eine Grundfeste der Gesellschaft überhaupt nicht in Frage.“ Tragische Schicksale bei Schülern, aber auch Lehrern und Eltern zeigten der Landesregierung, dass die Atmosphäre der Offenheit und Toleranz ein unglaublich wichtiges Thema sei.
Steeb: „Warum einzelne Gruppe herausnehmen?“
Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), fragte Stoch: „Wo stehen denn diese Leitlinien?“ Das christliche Sittengesetz aus der Landesverfassung und der Schutz der Ehe und Familie kämen in dem Bildungsplan nicht vor. Die Vizepräsidentin des baden-württembergischen Landtages habe Stängle als nicht mehr in dieser Gesellschaft zu dulden bezeichnet. „Das ist nicht das christliche Sittengesetz. Das christliche Sittengesetz ist, dass ich tolerant bin, dass ich tatsächlich mit den Menschen umgehen kann, aber auch, dass ich auf den christlichen Werten bestehe.“ Er vermisse im Bildungsplanentwurf die Leitlinien der Landesverfassung, des Grundgesetzes und des Schulgesetzes, dass Kinder etwa in Ehrfurcht vor Gott zu erziehen seien. Steeb frage sich, „warum eine einzelne Gruppe herausgenommen wird, das Thema Inklusion Behinderter spielt jetzt keine Rolle. Das ist doch seltsam“.
Homosexualität: Kein Lebensstil, sondern Lebenswirklichkeit
Stefan Kaufmann, Bundestagsabgeordneter der CDU-Fraktion, bekennt sich öffentlich zu seiner Homosexualität, und kämpft für Rechte Homosexueller. Er möchte dieses Jahr von einem katholischen Priester kirchlich getraut werden. Die Anfrage sei beim zuständigen Bischof. Im SWR-Talk sagte der Politiker: „Man kann darüber diskutieren, ob der Bildungsplan in seinem Entwurf etwas zu kurz springt, ob er andere Themen ausklammert, aber das entbehrt nicht, dass es richtig ist, über das Thema sexuelle Identität an den Schulen zu sprechen.“ Sein Problem mit der Petition und Steebs Haltung sei, dass sie Unterschiede machten. „Sie sagen, ich akzeptiere, dass es Schwule und Lesben gibt, aber sie müssen unterschiedlich behandelt werden.“ Damit schürten sie Ressentiments. Von einem homosexuellen Lebensstil oder Lebensentwurf zu sprechen sei falsch. „Wir suchen uns nicht selber aus, ob wir schwul sind oder lesbisch. Man ist schwul und man wird es nicht durch Erziehung und deshalb ist es kein Lebensstil, sondern es ist eine Lebenswirklichkeit.“ Deshalb habe er seine Stimme gegen die Petition erhoben.
Als persönlich Betroffene kam unter anderen Traudl Fuchs, Kirchengemeinderätin und Mutter einer lesbischen Tochter, zu Wort. Ihre Tochter habe sich vor ihrem Coming-out als erstes dem evangelischen Gemeindepfarrer anvertraut, mit dem sie in einem guten Verhältnis stand. Fuchs sagte: „Die Kirche, egal ob evangelisch oder katholisch, muss sich schnell auf den Weg machen und diese Menschen abholen, wo sie sind und nicht sagen: ‚Ihr seid zwar toleriert, aber alles andere darf nicht sein.‘ Da sind sie auf dem Holzweg.“ Sie und ihre Tochter ließen sich von ihrem Pfarrer und profamilia beraten. Fuchs meinte, dass auch die Eltern homosexueller Kinder Zeit brauchen, um diese sexuelle Identität zu verarbeiten. Der Pfarrer predigte später bei der Trauung der zwei Frauen, segnen durfte er sie nicht. Fuchs fügte hinzu: „Kirchensteuer dürfen die Schwulen und Lesben zahlen, aber getraut werden dürfen sie nicht.“
Darauf angesprochen, sagte Steeb, er hätte den Segen nicht gegeben, weil diese Verbindung nicht mit der Ehe gleichzusetzen sei. „Die Ehe ist die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau. Darauf ruht aus meiner Überzeugung der Segen Gottes.“
Stoch zu Steeb: Menschenverachtende Interpretation des Christentums
Taz-Chefredakteurin Ines Pohl, die selbst eine eingetragene Lebenspartnerschaft führt, fragte: „Dann sagen Sie, dass Ihre Ehe besser ist, dass Sie segnungswürdiger sind als Herr Kaufmann und ich […]. Was ist das denn für ein christliches Menschenbild?“ Der DEA-Generalsekretär erwiderte, es sei der Kirche verboten „zu segnen, was Gott nicht segnet“.
Stoch entgegnete Steeb: „Der Gott, an den ich glaube, ist ein Gott der Liebe. Und es ist kein Gott, der irgendjemanden wegschickt. Jesus war auch keiner, der irgendjemanden weggeschickt hat, sondern der hat alle zu sich gerufen.“ Steebs Interpretation von Christentum sei laut Stoch nicht die menschenfreundliche, sondern „eine menschenverachtende“.
Steeb wünschte sich auch Toleranz mit denen, deren Leitbild die traditionelle Ehe und Familie ist. Darauf antwortet taz-Chefredakteurin Pohl: „Ihre Forderung, wir müssen jetzt tolerant mit Ihnen sein, der Sie die Homoehe überhaupt nicht annehmen, das geht ja nicht. Das passt nicht zusammen: Ich kann nicht mit jemandem tolerant sein, der intolerant ist. So funktioniert das ja nicht.“ Sie akzeptiere, dass für ihn die heterosexuelle Ehe wichtiger ist und richtiger ist, „aber was ich nicht akzeptieren kann, dass Sie mich für weniger wert halten“.
Kultusminister Stoch betonte, der Bildungsplan ziele darauf ab, es gehe „um den Wert eines Menschen, nicht wie er seine sexuelle Orientierung auslebt“. Den Kindern sollte vermittelt werden, „dass Respekt der Kern des Umgangs von Menschen ist und nicht Ausgrenzung“. Steeb setzte sich dafür ein, in Bildungseinrichtungen Mut zu Ehe und Familie zu machen. Positive Beispiele zu diesem Leitbild fehlten seiner Meinung nach seit Jahrzehnten in den Schulen.
Die 90-minütige Sendung „Nachtcafé“ können Sie online auf der Internetseite des SWR anschauen. (pro)
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