Schikaniert und bloßgestellt

„Auf zur Polizeiwache, lasst uns das Schwein mit Steinen beschmeißen.“ Dazu forderte ein 18-Jähriger die Leser auf seiner Facebook-Seite auf. Dass „das Schwein“ völlig unschuldig ist, ist dem jungen Mann völlig egal. Ist der Einzel- nur ein Extremfall oder verrohen die Sitten im Internet?
Von PRO
Nils und Adrian engagieren sich ehrenamtlich als Internet-Scouts

Die kanadische Schülerin Amanda Todd nahm sich vor einem Jahr das Leben. Sie hatte als Zwölfjährige einem Fremden Bilder ihres nackten Oberkörpers über das Internet geschickt. Der verbreitete die Bilder im Netz. Als Amandas Mitschüler die Fotos sahen, wurde sie gemobbt. Ihre Hilferufe über YouTube-Videos blieben ungehört. Mit 15 Jahren konnte Amanda es nicht mehr aushalten. Sie brachte sich um, zerbrach an den Folgen der unbedarften Aktion.

Konflikte werden virtuell ausgetragen

In Deutschland sind zwischen 20 und 35 Prozent der 10- bis 18-Jährigen als Täter oder Opfer in Cybermobbing involviert, erklärte die Sozialpsychologin Catarina Katzer in der Zeitung Die Welt. Katzer engagiert sich im Netzwerk gegen Cybermobbing. Mittlerweile hänselten schon Grundschüler ihre Altersgenossen über das Internet. Jugendliche, die im normalen Leben „unauffällig sind und das Netz im scheinbaren Schutz der Anonymität nutzen, um zu testen, wie böse sie sein können“, gehörten zu den Tätern. Für Sabine Mosler, Referentin für Programm und Telemedien von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt, bekommen Konflikte durch die ständige Erreichbarkeit der Jugendlichen eine völlig neue Qualität. Durch Smartphones würden Streitigkeiten eher virtuell als persönlich ausgetragen – und das häufig rund um die Uhr. Mosler koordiniert die Online-Plattform www.juuuport.de. Dort beraten ausgebildete Jugendliche Gleichaltrige bei Problemen wie Cybermobbing und Internet-Abzocke. Zwei von ihnen sind Nils und Adrian. Mobbing-Opfer können sich an die Internet-Scouts wenden. Die Macher der Plattform hoffen, dass sich Jugendliche mit ihren Sorgen und Nöten Altersgenossen leichter öffnen als Erwachsenen. Jeder Scout wird in rechtlichen und technischen Fragen geschult. Außerdem soll er psychologische Kenntnisse haben, bevor er Artikel zu aktuellen Web-Themen schreibt und Foren moderieren darf, in denen sich Betroffene austauschen.

„Das geht einem schon nah“

Nils hat die Erfahrung gemacht, dass der Umgangston im Netz nicht unbedingt rauer geworden ist: „Ich glaube eher, dass er dem Umgangston in der Schule entspricht. Er verändert sich genauso, wie sich die Umgangssprache verändert.“ Adrian sieht das anders: „Die Themen ändern sich, aber nicht unbedingt die Qualität der Diffamierungen“, sagt der 18-Jährige. Er sieht bei den Jugendlichen aber ein verändertes Gefahrenbewusstsein, was im Internet geht und was nicht. „Viele Jugendliche sind sich der Gefahren im Internet deutlich bewusster als noch vor drei oder vier Jahren.“
Die beiden sind als Internet-Scouts tätig, seitdem ein Medienpädagoge sie in ihrem Jugendzentrum vor drei Jahren angesprochen hat. Sie fanden es „herausfordernd und spannend“, anderen Jugendlichen auf diese Art und Weise zu helfen. Negative Erfahrungen in den sozialen Netzwerken hatten sie bis dahin noch nicht gemacht: „Zu meinen Facebook-Freunden habe ich in der Regel eine persönliche Beziehung und kann entsprechend reagieren“, erklärt Adrian. Privat musste er bisher noch nie schlichten.
Anders sieht es in seiner juuuport-Arbeit aus. Eine 15-jährige Schülerin wurde anonym bei Schueler.CC angemeldet: Das Profil enthielt alle wichtigen Daten und manipulierte Fotos. Seitdem erhält sie täglich Anrufe und SMS von Unbekannten, die ihre Daten dem Profil entnommen haben. Seit die Belästigungen begannen, leidet die Schülerin unter Schlafstörungen und Angstzuständen. Auch in solchen Fällen rät das juuuport-Team, mit einer erwachsenen Person darüber zu sprechen und eventuell eine Anzeige zu erstatten. Um die Beweise zu sichern, sind Screenshots unabdingbar. Außerdem empfehlen die Helfer, das Profil zu melden. In dem konkreten Fall hat juuuport auch eine Juristin hinzugezogen, die die strafrechtliche Relevanz prüfte, weil es sich um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte handelte.
Werden die jugendlichen Helfer nicht überfordert mit manchem, was sie erleben? Nils beschäftigt bei den Mobbing-Opfern vor allem, ob es noch andere zugrunde liegende Probleme gibt. Auch für Adrian hat jede Anfrage eine individuelle Geschichte. Dabei versucht er, die Balance zwischen persönlicher Hilfe und professioneller Distanz zu wahren: „Wenn die Betroffenen besonders heftig öffentlich beleidigt oder bloßgestellt werden, dann geht einem das schon nahe.“ Die beiden berichten, dass die Gründe für Cybermobbing häufig außerhalb des Internets liegen: „Wenn die Ursachen beseitigt werden, hört auch das Mobbing im Internet auf.“ Der beste Ansatz ist ihrer Erfahrung nach das Gespräch mit Tätern und einer Vertrauensperson. Externe Hilfe von Eltern, Beratungslehrern oder im Extremfall der Polizei sei wichtig.
Die Sozialpädagogin Catarina Katzer, die als eine der ersten im deutschsprachigen Raum zum Thema Cybermobbing geforscht hat, empfindet diese Form der Schikane als „subtiler, effektiver und manipulativer“ als in der realen Welt. Bearbeitete Fotos könnten in Windeseile in Umlauf gebracht werden und anderen Menschen schaden. In der realen Welt spielten eher physische Gewalt und Erpressungen eine Rolle: „Potenziert wird es, wenn beides zusammenkommt“, meint Katzer.

Wer hilft Mobbingopfern?

Die Erwachsenen bekommen oft gar nicht mit, was ihren Kindern in der virtuellen Welt passiert. Katzer empfiehlt, die jugendlichen Opfer zunächst zu fragen, wie sie mit der Situation umgehen möchten. Sie rät, die Schule zu informieren, „ohne anzuklagen oder den Täter vorzuführen“. Strafe müsse sein, damit klar werde, „dass Grenzen überschritten wurden“. Erpressungen, Drohungen oder die Verbreitung von Verleumdungen seien Straftatbestände. Bei psychischen Schäden könne das Opfer auch auf Schadensersatz klagen. Dies passiere aber sehr selten: „Weil viel zu wenige davon überhaupt wissen“.
Adrian sieht das eigene Portal als „erste Anlaufstelle“ für Betroffene. Es gehe darum, den Jugendlichen Mut zu machen und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Alternativ kommt für Mobbingopfer auch der Weg zur Polizei, einem Rechtsanwalt oder einer Verbraucherzentrale in Frage. Falls die Scouts selbst überfordert sind, können sie sich Hilfe bei einer Psychologin holen oder die Betroffenen dorthin weiterleiten: „Ich kann mich nur an einen Fall erinnern, bei dem dies notwendig war“, erklärt Nils.
Und was bringt die Zukunft? Wird der Ton rauer? „Das ist natürlich schwer zu sagen. Vielleicht ist Cybermobbing die logische Konsequenz der Verlagerung der Kommunikation ins Internet“, meint Nils. Sein juuuport-Mitstreiter Adrian glaubt, dass durch die technische Komponente „menschliche Gemeinheiten im Internet von Zeit zu Zeit ein anderes Gesicht bekommen. Ich wünsche mir, dass Internet-Nutzer mehr Zivilcourage zeigen und seltener wegschauen, wenn sie sehen, dass jemand offensichtlich Hilfe braucht“, lautet sein klarer Appell. Ähnlich sieht dies auch Catarina Katzer. Von der Netzgemeinde fordert sie: „Wenn jemand mitbekommt, dass da jemand fertiggemacht wird, sollte er eingreifen und das melden.“Wer hilft?
Juuport ist nur eine mögliche Anlaufstelle für Opfer von Cybermobbing. Neben Internetportalen und Foren haben sich etliche andere Anbieter auf härtere Fälle von Cybermobbing – und Stalking – spezialisiert.Klicksafe: Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz hat sich auf die Kommunikation und den Datenschutz im Internet spezialisiert. Dabei werden insbesondere Informationsmaterialien für Eltern und Lehrer angeboten. Infos gibt es unter: www.klicksafe.de
Nummer gegen Kummer e.V.: Die Nummer gegen Kummer ist eines der ältesten Angebote und bietet zwei telefonische Beratungsmöglichkeiten: eine für Kinder und Jugendliche sowie seit 2001 auch das Elterntelefon. Die Nummer gegen Kummer e.V. bietet eine anonyme und kostenlose Beratung für Betroffene an. Infos gibt es unter: www.nummergegenkummer.de
Weißer Ring: Die Hilfsorganisation kümmert sich um Opfer von Kriminalität und ihre Familien. Möglich ist die Begleitung zu Terminen bei Polizei, Gericht oder Behörden. Bei finanziellen Engpässen kann auch eine Hilfe in Notlagen in Anspruch genommen werden. Infos gibt es unter: www.weisser-ring.deEine ausführliche Sammlung von Tipps zum Thema hat die Initiative Schau hin aufgestellt: http://tinyurl.com/ph5zsj8Empfehlenswert sind auch die Informationen der Polizeiberatung: http://bit.ly/GCglFW

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