Der Vortrag beschäftigte sich mit dem "doppelten Emanzipationsprozess" von Staat und Religion in Europa, wie der "Tagesspiegel" berichtet. Es habe lange gedauert, bis sich der Staat von den religiösen Führern trennen konnte, so Schavan. Doch die Trennung habe zu Glück und Freiheit auf beiden Seiten geführt. "Bürgerliche Toleranz und friedliche Koexistenz der Konfessionen" konnten von nun an entstehen. Der Staat war nicht mehr dafür verantwortlich, ein religiöses Fehlverhalten zu bestrafen. "Die Religion wurde in den Bereich des Privaten verwiesen, der Staat garantierte fortan die Freiheit der Religion und auch die Freiheit des Bürgers, an nichts zu glauben".
Weiter bezog sich die 55-Jährige auf den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der bereits vor etwa 200 Jahren der Meinung war, dass eine Trennung von Staat und Religion die "Offenbarung, die mit Jesus Christus in die Welt gekommen" sei, verwirkliche. Das bedeutet für die Bundesministerin, dass sich das Christentum "auf das persönliche Bekenntnis zu Gott und zur persönlichen Nachfolge Jesu" konzentrieren konnte, nachdem Staat und Kirche voneinander getrennt waren. Das sei für beide Seiten gut gewesen. Die Bürger sollten aber "die Weltlichkeit des Staates nicht als etwas Fremdes betrachten, sondern als die Chance der Freiheit". Dennoch dürfe man trotz Freiheit nicht alles tun, was man wolle. "Der Staat, der Freiheit gewährt, baut auf die moralische Substanz seiner Bürger", sagte Schavan mit Blick auf fundamentalistische Gruppen.
Zudem äußerte sich Schavan zu der häufig diskutierten Präambel des Grundgesetzes und dem darin vorkommenden Gottesbezug "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". Dieser Ausdruck zeige dem Staat seine Grenzen auf, gleichzeitig stelle er dar, dass " Religion – egal welche – eine freiheitsstiftende Kraft" sei. Damit schnitt sie den Dialog zwischen Christentum und Islam an. Es gehe "um die Demokratiefähigkeit des Islam und seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen", so die Ministerin. Daneben machte sie deutlich: "Das Christentum gehört zum kulturellen Fundament unserer Gesellschaft und nimmt den Staat in die Pflicht, die religiösen Wurzeln der eigenen Kultur zu achten."
Der Vortrag war die Eröffnung des diesjährigen Konzeptlabors des "Dahlem Humanities Center", das unter dem Motto "Religion und Gesellschaft im 21. Jahrhundert" steht. Das Forschungszentrum versucht, "die deutschlandweit einzigartige Breite geisteswissenschaftlicher Forschung an der Freien Universität" in Berlin zu bündeln. Es wurde 2007 gegründet. (pro)