„Schaut hin“ – auch bei Kirchentagsmottos

Auch beim diesjährigen Kirchentag dient ein – arg verkürzter – Bibelvers als Slogan, mit dem man alles und nichts begründen kann. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Den Ökumenische Kirchentag gibt es dieses Jahr überwiegend digital (Archivbild)

Mich hat schon immer beeindruckt, wie prägnant Martin Luther formulieren konnte. Für die drei wichtigsten rhetorischen Predigt-Tipps brauchte er nur neun Wörter: „Tritt fest auf, mach’s Maul auf, hör bald auf.“ Wenig reden, viel sagen, das ist auch heute noch eine der wichtigsten Kommunikationsregeln. In der Kürze liegt die Würze. Daran gemessen weisen die Mottos der Kirchentage auf ganz besonders pikante Veranstaltungen hin. Schon seit Jahren üben sich die Verantwortlichen darin, immer kürzere Slogans zu präsentieren – und zwar schon seit mehr als drei Jahrzehnten mit biblischem Bezug.

„Soviel du brauchst“ (2013), „damit wir klug werden“ (2015), „Du siehst mich“ (2017), „Was für ein Vertrauen“ (2019) waren schon äußerst knapp, doch für dieses Jahr hat der Ökumenische Kirchentag (ÖKT) einen Rekord aufgestellt. Zwei Wörter, neun Buchstaben (plus ein Leerzeichen): „Schaut hin“, ein Zitat aus der Bibel. Vielleicht wussten Sie auch als kundiger Bibelleser nicht im ersten Moment, welche Bibelstelle der Kirchentag hier zitiert. Mir ging es jedenfalls so. Der ÖKT gibt die Antwort: Markus 6,38. Darin geht es um die Speisung der Fünftausend. Jesus sagt zu den Jüngern: „Wie viele Brote habt ihr? Geht hin und seht nach!“ Damit will der ÖKT laut Begleitheft für den kommenden Kirchentagssonntag einladen, „in der Auslegung die Jünger*innen in den Mittelpunkt zu stellen“.

Beim Kürzen von Texten ist die größte Herausforderung, knapp zu formulieren, den Sinn aber dabei zu wahren. Die Kirchentags-Texter gehen einen anderen Weg: Sie kürzen so, dass der Sinn möglichst breit interpretiert werden kann.

Bibelverse zur sozialen Gerechtigkeit

Wer Kirchentage kennt, kann sich vorstellen, was aus der Bitte Jesu an die Jünger werden wird: Wir sollen eben hinschauen, auf das Leid und die Diskriminierten in dieser Welt, wir sollen nicht wegschauen, wenn Hass-Kommentare im Netz gepostet werden oder Rassismus grassiert, wir sollen die Augen nicht verschließen vor den Problemen dieser Zeit, ob Klimawandel, Rüstungspolitik oder, wie es im Begleitheft zum Kirchentagssonntag erwähnt wird, Flüchtlingsboote im Mittelmeer. Das sind alles wichtige und zutiefst christliche Anliegen, doch: Mit der Bitte Jesu, die Versorgungslage des Massenpicknicks zu prüfen, hat all das doch eher wenig zu tun.

Dabei gibt es genug Bibelverse, die den Einsatz für soziale Gerechtigkeit in den Blick nehmen. Die müsste man dann auch nicht kürzen.

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