Schadensbegrenzung? Vattenfall finanziert Seelsorge

In der Oberlausitz müssen Hunderte von Menschen umziehen, damit die Kohle aus dem Boden unter ihren Häusern gefördert und in Strom umgewandelt werden kann. Eine evangelische Pfarrerin soll den Menschen beistehen und durch die Trauer hindurch helfen. Die Stelle finanziert der Energiekonzern Vattenfall, der von der Umsiedlung profitiert.
Von PRO

Das Dorf Rohne gehört zu der Gemeinde Schleife in der Oberlausitz. Hier holt die Firma Vattenfall jedes Jahr bis zu 17 Millionen Tonnen Kohle aus dem Boden, sie wird im Kraftwerk Boxberg zur Stromgewinnung genutzt. Über 200 Menschen müssen für die Stromgewinnung ihre Häuser räumen und umsiedeln. Weitere 1.550 Menschen sind in den kommenden Jahren von dem gleichen Schicksal bedroht.

Pfarrerin Antje Schröcke versucht, den Menschen beim Abschiednehmen von der vertrauten Umgebung beizustehen. Die seelsorgerische Beratungsstelle im Zusammenhang mit den bevorstehenden Umsiedlungsprozessen in der Verwaltungsgemeinschaft Schleife ist nicht nur für Kirchenmitglieder gedacht, sondern steht allen Ratsuchenden offen. "An den Tatsachen können wir nichts ändern. Aber wir können gestalten, wie sich diese Tatsachen auswirken", sagte die Theologin bei der Einführung in ihr Amt 2010.

Die Idee, eine Seelsorge-Stelle einzurichten, kam von dem Kirchenkreis Niederschlesische Lausitz, schreibt Stephan Bosch in dem Magazin "Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Geselschaft". Bei Vattenfall sah man das offenbar ähnlich: Der Konzern habe sich für sechs Jahre verpflichtet, Schröcks Gehalt zu zahlen, berichtet "Zeitzeichen". Es sei wichtig, dass die zur Umsiedlung gezwungenen Menschen eine Anlaufstelle hätten, wo sie sich ohne Vorbehalte aussprechen können, sagt Detlev Dähnert, Leiter der Tagebauplanung bei Vattenfall. Seiner Ansicht nach ist die Einrichtung einer Seelsorge-Stelle in so einer "Spannungssituation der richtige Weg". Eine derartige Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kirche sei bisher einmalig und funktioniere vor allem, weil "beide Seiten füreinander berechenbar" blieben.

"Abstinenz einer privaten Meinung"

Seit gut eineinhalb Jahren versucht Theologin Schröcke den Menschen in dem Dorf Schleife zur Seite zu stehen, neue Rituale zum Abschiednehmen zu finden, einen neuen Anfang zu wagen. Im Interview mit dem Deutschlandradio betont die Pfarrerin, dass sie sich auf keinen Fall von dem Energiekonzern kaufen lassen würde. Gegenüber "Zeitzeichen" gestand sie dann doch ein, dass ihre Arbeit gelegentlich auch die "Abstinenz einer privaten Meinung" erfordere. Andererseits sei sie nicht bei Vattenfall angestellt, sondern bei der Kirche – und habe die Institution bei möglichen Konflikten im Rücken.

Dennoch: Erst Leid verursachen und dann zur Eindämmung der Folgen eine Seelsorgerin bezahlen? Wie bewertet die Kirche diesen Sachverhalt? Superintendent Thomas Koppehl verweist gegenüber "Zeitzeichen" auf den politischen Rahmen: Die Bevölkerung habe sich in den Wahlen für das Energiekonzept entschieden, bei dem Braunkohle eine wichtige Rolle spiele. Mit allen Konsequenzen, die das für die Region habe. Nun ginge es darum, eine Moderatorenrolle einzunehmen.
Anders sieht das Pröpstin Friederike von Kirchbach in Berlin: Wenn Vattenfall sechs Jahre lange eine Seelsorgerin bezahlt, sei das "Wahrnehmung einer gemeinnützigen Verantwortung, die auch so ein Großunternehmen vor Ort hat", erklärt sie gegenüber dem Deutschlandfunk.  Es sei wichtig, mit den betroffenen Menschen zu reden.

"Im gesamtgesellschaftlichen Kontext merken wir, dass Seelsorge, zum Beispiel Notfallseelsorge, eine enorme Rolle spielt, völlig jenseits von Kirchenzugehörigkeit", so die Pröpstin. Seelsorge sei ein hochangesehenes Engagement der Kirchen, das auch von Nicht-Christen beansprucht werde. (pro)

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