Thilo Sarrazin, ehemaliger SPD-Finanzsenator in Berlin, ist sich sicher: "Meine Thesen werden von 60 bis 70 Prozent der Deutschen geteilt." Ihm gehe es um die Wahrheit. Dass ausgerechnet die NPD nun mit seinen Ideen werbe, ändere nichts an seiner Meinung. Sarrazin sagte im Gespräch mit Hahne und Ströbele, er habe in den vergangenen Monaten "ungemein viel Zuspruch" erhalten, auch von "gut integrierten Migranten". Ein kürzlich vor TV-Kameras inszenierter Besuch des Berliner Stadtteils Kreuzberg habe ihm allerdings gezeigt, "dass ein unbescholtener Berliner Bürger nicht mehr überall durchgehen kann". Sarrazin war von wütenden Bürgern aus dem Stadtteil vertrieben worden.
Schon während seiner Amtszeit als Senator sei er mehrmals fast aus dem Berliner Senat geflogen, weil er kritische Thesen vertreten habe. Heute gelte: "70 bis 90 Prozent meiner Kritiker kennen mein Buch gar nicht." Er habe niemals Migranten beschimpft oder beleidigt und sich auch gegen alle Einvernehmungsversuche der NPD gewehrt. Sarrazin ist sich sicher: "In meinem Buch grenze ich überhaupt niemanden aus."
"Fremdenfeindlichkeit geschürt"
Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, Abgeordneter von Kreuzberg, sieht das anders. "Diese schrecklichen Thesen haben Fremdenfeindlichkeit in Deutschland geschürt", erklärte er gegenüber Sarrazin. Er sei somit keinesfalls "unbescholten", sondern bestreite Kreuzberger Migranten ihre Aufenthaltsberechtigung. "Sie spalten die Gesellschaft", warf Ströbele dem SPD-Mann vor, und weiter: "Sie haben schamlos ihr Amt als Finanzsenator und bei der Bundesbank missbraucht." Selbst der Attentäter von Oslo habe ähnliche Thesen vertreten und so seine Gewalt gerechtfertigt. "Sie vergiften in Deutschland die Atmosphäre", sagte Ströbele.
Thilo Sarrazin hatte im Spätsommer 2010 sein Buch "Deutschland schafft sich ab" veröffentlicht, in dem er die These aufstellte, Deutschland verliere seine Identität durch Geburtenrückgang und ungebremste Zuwanderung von vor allem Muslimen. Das Buch hatte deutschlandweit eine einmalige Debatte über Migration und Fremdenhass ausgelöst, die SPD stritt über einen Parteiausschluss Sarrazins und er verlor sein Amt als Bundesbank-Vorstand. (pro)