Samuel P. Huntington und der „Kampf der Kulturen“

W a s h i n g t o n (PRO) - Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington hatte bereits 1996 ein Buch geschrieben, dessen Thesen sich in den darauf folgenden zehn Jahren auf bemerkenswerte Weise zu bewahrheiten schienen. Das Magazin "Cicero" besuchte den 79-Jährigen und sprach mit ihm über den damals von ihm prophezeiten "Kampf der Kulturen".
Von PRO

Mit diesem Begriff habe Huntington „wie kein anderer“ die politische Debatte zu Beginn des 21. Jahrhunderts geprägt, stellt Cicero fest. Das Magazin gibt einige der wichtigsten Thesen des vielbeachteten Wissenschaftlers wieder. Der Islam würde eine Bevölkerungsexplosion erleben, und daraus folgten Destabilität für die moslemischen Länder, stellte der Amerikaner noch vor den großen Anschlägen islamistischer Terroristen fest. Eine auf kulturellen Werten basierende Weltordnung würde nach seiner Meinung entstehen.

„Das Überleben des Westens hängt davon ab, dass die Amerikaner ihre westliche Identität bekräftigen und die Westler sich damit abfinden, dass ihre Kultur einzigartig, aber universal ist, und sich einigen, um diese Kultur vor den Herausforderungen durch nichtwestliche Gesellschaften zu schützen…“, lautet eine der Thesen Huntingtons.

Kulturelle und religiöse Unterschiede werden zu Konfliktquellen

Nach dem Kalten Krieg würden religiöse und kulturelle Unterschiede weltweit zur maßgeblichen Konfliktquelle werden. Damit wurde Huntingtons Grundthese, „wie sich gezeigt hat, die einflussreichste politische Analyse unserer Zeit“, so Cicero. Und Huntington selbst stellt fest: „Leider ist all das, was meinen Thesen folgend hätte geschehen können, dann auch tatsächlich eingetreten.“

Huntington spricht sich gegen das Vorhaben der US-Regierung aus, Demokratie und westliche Werte in andere Länder zu exportieren. Dies sei nicht möglich, so der Wissenschaftler. „Die Vereinigten Staaten sollten demokratische Bewegungen in anderen Staaten zwar in Maßen unterstützen, aber zu Demokratien werden solche Gesellschaften nur, wenn diese Bewegungen Rückhalt in der Bevölkerung haben, wenn es diesen Menschen gelingt, an die Macht zu kommen und ihr Regierungssystem selbst zu verändern.“ „In der arabischen Welt führt westliche Demokratie zu einer Stärkung der antiwestlichen politischen Kräfte“, meinte Huntington bereits 1993. Heute sagt er im Hinblick auf arabische Staaten, aber auch auf andere Länder: „Das hat sich dann auch so gezeigt.“

Huntington betont, dass sich die Spannungen weniger auf wirtschaftlichen Unterschieden gründeten, als viel mehr auf kulturellen und religiösen. Innerhalb Amerikas selbst finde aber kein „Kampf der Kulturen“ in diesem Sinne statt: „Es spielt natürlich auch anderes mit hinein, der traditionelle Widerstreit zwischen den eher liberalen, wie wir sie nennen, und den konservativen Kräften, der zwischen staatsorientierte oder marktorientierte Politik, und Sie werden in beiden Lagern sowohl Katholiken als auch Protestanten finden, sogar Juden, obwohl die Juden traditionellerweise eher dem liberalen Lager zuneigen.“

Cicero fragt den Politikwissenschaftler nach der Angst in Amerika vor dem europäischen Antiamerikanismus – „Insbesondere die evangelikale Bewegung sorgt in Europa für Irritationen“. Huntington antwortet: „Den Einfluss der Evangelikalen sollte man nicht überbewerten. Gewiss, es ist eine religiöse Bewegung mit auch politischen Folgen, aber es ist auf keinen Fall die bestimmende Kraft in der amerikanischen Gesellschaft. (…) Andererseits sind Amerikaner wesentlich religiöser als Europäer. 95 Prozent der Amerikaner glauben an Gott, aber nur 60 Prozent der Europäer. Amerikaner gehen auch sehr viel häufiger in die Kirche als Europäer.“

Nicht-religiöses Europa ist weltweit die Ausnahme

Auf den Hinweis, dass die derzeitige amerikanische Regierung ihre Außenpolitik mit religiösen Begrifflichkeiten und Metaphern begründet, wendet Huntington ein: „Mag sein. Aber schließlich gab es in der Vergangenheit auch europäische Regierungen, die ihre Handlungsweise mit marxistischen Begriffen rechtfertigten. Allgemeiner gesagt rechtfertigen europäische Führer ihre Politik mit säkularen Ideologien, Amerikaner hingegen mit Religion.“

Huntington selbst sei „im Grundsatz“ Christ. Ein Elternteil war Baptist, der andere Unitarier. Er habe jedoch keine christliche Erziehung genossen. „Ein Gespür für die Religion“ habe sich bei ihm erst entwickelt, als er merkte, dass „durch die gesamte Geschichte der Menschheit fast jedes Volk, mit nur ganz wenigen Ausnahmen, an ein höheres Wesen oder an eine höhere Kraft glaubte“.

Huntington stellt fest: „Der Rest der Welt ist religiös, ob muslimisch, orthodox oder hinduistisch. In einer sehr religiösen Welt ist Europa die große Ausnahme.“

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