Saat des Hasses geht nur in manchen Ländern auf

Während religiös motivierte Gewalt in Afghanistan, Nigeria oder Pakistan Schlagzeilen macht, haben Experten am Donnerstag in Berlin über die Ursachen diskutiert.
Von PRO
UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit Bielefeldt sprach über religiös motivierte Gewalt
Bei einem Vortrag zum Thema „Religionsfreiheit schützen: Wie kann religiös motivierte Gewalt verhindert werden?“ hat sich der UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt, dafür ausgesprochen, die Ursache von Konflikten nicht in dem Inhalt von Religion zu suchen. „Korruption ist einer der wichtigsten Gründe für Religionskonflikte“, sagte er in Berlin. Die Europäische Kommission, die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Institut für Menschenrechte hatten zu dem Vortrag eingeladen. Nico Lange von der Konrad-Adenauer Stiftung hatte in seiner Begrüßung darauf hingewiesen, dass „die Opfer religiös motivierter Gewalt ganz besonders häufig Christen sind“. Im Vortrag von Heiner Bielefeldt ging es allerdings allgemein um religiös motivierte Gewalt. „Es gibt nicht so etwas wie eine natürliche Täterreligion“, sagte Bielefeldt. Täter-Opfer-Verhältnisse seien sehr unterschiedlich. „Rein religiös motivierte Konflikte gibt es nicht,“ sagte Bielefeldt. „Religion ist ein Faktor des Konfliktgeschehens. Sehr selten die Hauptursache. Nie die Alleinursache.“ Immer würden auch andere Ursachen eine Rolle spielen. Das zu wissen sei sehr wichtig, denn andernfalls sähe es leicht so aus, als könne man auch nicht politisch eingreifen.

Ursachen für „gnadenlose Interpretation“ des Glaubens

Bielefeldt verwies darauf, dass es in manchen Ländern religiöse Konflikte gibt und in anderen nicht, obwohl auch dort Menschen verschiedener Religion zusammenleben. „Warum geht manchmal die Saat des Hasses auf und manchmal nicht?“, fragt er und nannte für eine „engherzige, gnadenlose Interpretation“ der jeweiligen Religion drei Ursachen: „Das Schlüsselwort ist Vertrauenskrise“, sagte er. Wenn erstens das Misstrauen zwischen verschiedenen Gruppen wachse und wenn zweitens das Vertrauen in staatliche Institutionen fehle, weil diese korrupt seien, könne man nur noch bestehen, wenn man auf die eigenen Netzwerke vertraue. Dadurch würde sich die Gesellschaft aber fragmentieren. Es gehe dann nicht mehr um Inhalte der Religion, sondern nur noch um Abgrenzung. „Es geht in Nigeria nicht darum, ob Jesus der Messias war, oder ein Prophet“, sagte er. Als dritte Ursache für religiös motivierte Gewalt nannte er mangelnde öffentliche Diskussionen. Dann bewege sich jeder nur noch in seinen eigenen Kreisen, und es entstehe ein Klima der politischen Paranoia. Die wichtigste Strategie gegen religiös motivierte Krisen sei deshalb auch die Vertrauensarbeit. Es müsse eine interreligiöse Kommunikation und eine öffentliche Debattenkultur geben, sagte Bielefeldt. Staatliche Institutionen sollten nicht eine bestimmte Religion schützen, sondern die Religionsfreiheit für alle gewährleisten. „Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit sind Nachbarn“, sagt er und verwies darauf, dass sie in vielen Gesetzbüchern wie dem deutschen Grundgesetz unmittelbar hintereinander folgen. Er plädierte dafür, auch religiösen Konflikten Raum zu geben und sie auszutragen, nur eben ohne Gewalt und Hasspropaganda. In Konfliktregionen sollte man die gemäßigten Stimmen stärken. Im Anschluss an den Vortrag diskutierte Bielefeldt mit Tom Koenigs, der für Bündnis90/Die Grünen im Bundestag sitzt, Richard Kühnel, dem Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland und Thomas Schirrmacher, dem Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit und Vorsitzenden der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz. Schirrmacher sagte, es sei nicht gut, beim Christentum nicht aufzupassen und die Probleme nur bei den anderen zu sehen. Niemand könne einen Konflikt besser entschärfen, als ein Mitglied der eigenen Religion. Er verwies auf den Fall des amerikanischen Pastors Terry Jones, der einen Koran verbrennen wollte. Viele Christen hätten sich dagegen ausgesprochen und er sei ermahnt worden. Wenn in Pakistan Scharia-Richter fragwürdige Urteile fällen, sollten andere Scharia-Richter Briefe an diese Richter schreiben. Koenigs sagte: „Wir können uns keine vernachlässigte Region mehr leisten. Wenn es irgendwo knallt, knallt es auch bei uns.“ Für seine Aussage, Korruption sei ein Brandbeschleuniger, ein andere sei der Waffenexport, erntete der Grünenpolitiker Zwischenapplaus. Koenigs sprach sich dafür aus, religiöse Hetze unter Strafe zu stellen. Bielefeldt unterschied daraufhin aber zwischen einer schwammigen Blasphemie-Gesetzgebung und einer klar definierten Anti-Hass-Gesetzgebung, die sich gegen Aufrufe zur Gewalt richte. Gerade mit Blick auf Nigeria machte sich Schirrmacher dafür stark, dass man weniger die Religion der Opfer thematisieren solle, als das Eingreifen des Staates zu fordern. „Gegen Boko Haram kann nur ein starker Staat vorgehen, und wenn er das nicht kann, müssen die anderen Staaten ihm helfen“, sagte er. „Eine solche brutale Gewalt muss gestoppt werden, nicht weil es um Religion geht, sondern weil es um Menschenleben geht.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/un-sonderberichterstatter-massive-drohungen-gegen-konvertiten-80997/
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/bielefeldt-medien-sollen-muslime-fair-behandeln-80678/
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