RTL startet Sendung mit Baby-Verleih

Der Privatfernsehsender RTL startet am 3. Juni eine neue Doku-Soap, die noch vor ihrer Ausstrahlung zu Protesten von Kinderschützern und Psychologen geführt hat. Bei der achteiligen Serie "Erwachsen auf Probe" sollen Teenager vor laufenden Kameras das Elternsein ausprobieren. Das Problem: die jungen Test-Eltern lernen unter anderem am lebenden Objekt.
Von PRO

Vier Paare im Alter zwischen 16 und 18 sollen lernen, was es heißt, Teenager-Eltern zu sein. Der Fernsehzuschauer ist dank ständiger Kameraüberwachung dabei. Wie das Medienmagazins DWDL berichtet, wurde die RTL-Sendung „Erwachsen auf Probe“ in einer Wohnsiedlung in Holland produziert. Dort habe die Produktionsfirma „Tresor TV“ die bestmöglichen Bedingungen zum Dreh vorgefunden, hieß es. Das Format lief bereits unter dem Titel „The Baby-Borrowers“ in Großbritannien und den USA. Und auch dort rief es Protest unter Psychologen und Kinderschutz-Organisationen hervor.

Die acht Teenager müssen laut dem Mediendienst „Teleschau“ in der Sendung zunächst einen „Baby-Führerschein“ machen. Die Paare absolvieren einen Geburtsvorbereitungskurs und klären die Rollenverteilung. Dann werden die Mädchen „schwanger“, sie bekommen einen Babybauch umgeschnallt, der eine Schwangerschaft im neunten Monat simuliert. Ein computerprogrammierter Baby-Dummy ahmt dann nach, was echte Babys tun: Er schreit, hat Hunger und will Zuneigung. Der Roboter reagiert auf körperliche Nähe und kann sogar theoretisch erdrückt werden.

Nach etwa einer Woche müssen die Teenager-Eltern den Härtetest bestehen. Sie bekommen einen echten Säugling im Alter von sieben bis 14 Monaten überlassen. Die Kleinkinder stammen von Eltern, die bereit waren, sich für die Dauer von rund vier Tagen von ihnen zu trennen.

Moderiert wird „Erwachsen auf Probe“ von der Klatsch-Reporterin Katja Kessler, die viele Jahre eine Kolumne in der „Bild“-Zeitung schrieb. Mit dem Pop-Produzenten Dieter Bohlen zusammen verfasste sie dessen Biografie. Kessler, die gelernte Zahnärztin ist, ist mit dem Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Kai Diekmann, verheiratet und hat vier Kinder. Vor einem Jahr schrieb sie ein Ratgeberbuch für werdende Mütter mit dem Titel „Das Mami Buch“. Die Sendung läuft ab dem 3. Juni immer mittwochs um 20.15 Uhr.

Entsetzen beim Kinderschutzbund

Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) ist „entsetzt“ über das neue RTL-Format, berichtet „Welt Online“. „Diese Sendung setzt die Kinder einem hohen Risiko aus, ist somit Kindeswohlgefährdung und nicht hinnehmbar“, sagte DKSB-Bundesgeschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth am Mittwoch. Nach Aussage des DKSB seien Kinder im Alter von neun bis 14 Monaten in einer hochsensiblen Phase und reagierten entwicklungsbedingt mit Angst und Abwehr auf fremde Personen.

„Indem RTL diese Kinder existenziellen Ängsten aussetzt, nimmt der Sender die Entstehung einer Bindungsstörung bei den Kindern billigend in Kauf“, sagte Honkanen-Schoberth. „Sollen wehrlose Babys hier den Preis dafür zahlen, dass RTL eine möglichst große Zuschauerzahl und damit hohe Werbeeinnahmen erzielen will? Das ist für uns nicht zu akzeptieren.“ Der Kinderschutzbund forderte RTL auf, die Serie nicht auszustrahlen und „keine weiteren, die Entwicklung der Kinder gefährdenden, gleichgearteten Sendungen mehr zu produzieren“.

Wenn RTL 24 Stunden lang Kameras auf die Teenager und die Babys richte, sei stets eine Kinderpsychologin dabei, hieß es aus Köln. „Die Eltern geben ihre Kinder aus Überzeugung ab“, sagte RTL-Sprecher Frank Rendez laut „Teleschau“. „Sie wollen den Jugendlichen einen realen Einblick in das Eltern- und Erwachsenendasein ermöglichen, damit sich die Jugendlichen das oftmals zu frühe Kinderkriegen reiflich überlegen.“

Proteste auch in England und USA

Schon als das Original, „The Baby-Borrowers“, im Juli 2008 bei der BBC laufen sollte, wurden Proteste noch vor der Ausstrahlung laut. Die BBC versicherte damals ebenfalls, dass die wahren Eltern ihre Erlaubnis gegeben hätten und dass jederzeit eine Erzieherin anwesend sei.

Als der amerikanische Sender NBC das gleiche Format im selben Jahr ausstrahlte, warnte die Kinderschutz-Organisation „The Natural Child Project“ in einem Brief an NBC vor seelischen Schäden bei den Babys. Kinder, denen der eigentliche Erzieher weggenommen werde, litten unter Depressionen. Anders als die Zuschauer wüssten sie nicht, dass sie später zu ihren Familien zurückgebracht werden.

Die „American Academy of Child and Adolescent Psychiatry“ (AACAP) forderte im Juli 2008 den Stopp der Sendung. „Wenn man Babys und Kleinkinder über einen längeren Zeitraum von ihren Eltern trennt, kann es sein, dass sie sehr darunter leiden und sich ängstigen. Es kann sein, dass sich das Kind nicht mehr auf die eigentlichen Erzieher verlässt. Die Trennung kann zu schweren seelischen Schäden des Kindes führen und sein Empfinden für Sicherheit stören.“ Der Präsident der AACAP, Robert Hendren, schrieb: „Mit dem Sinn eines Kindes für Sicherheit sollte man nicht spielen.“ Den Teenagern sei besser geholfen, wenn sie eine Zeit lang mit den echten Eltern zusammen blieben und so aus nächster Nähe den Umgang mit Babys erlernten. Doch schon in England und in den USA nützten die Proteste nichts. Sowohl BBC als auch NBC strahlten die Serie aus. (PRO)

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