Eigentlich sieht das monatliche Wrestling in der Kirche St. Peters in Shipley, Großbritannien, genau so aus wie das Wrestling, das man von Show-Bühnen und aus dem Fernsehen kennt. Beim Wrestling (Englisch für „Ringen“) geht es vor allem darum, eine Show abzuziehen. Die Kämpfer in bunten Klamotten werfen sich gegenseitig zu Boden oder in die Seile, treten und schubsen sich, bis ein Sieger feststeht. Bei der Schaukampf-Sportart, die besonders in den USA, in Mexiko und Japan beliebt ist, sind allerdings sowohl die Bewegungen als auch die Sieger vorher abgesprochen. Es geht auch darum, dem Publikum auf unterhaltsame Weise den fiktiven Kontext des Kampfes näherzubringen. Weltbekannte Wrestler sind etwa Hulk Hogan, The Undertaker und Dwayne Johnson.
In dem altehrwürdigen Steingebäude der St. Peters Church in Shipley gibt es einmal im Monat unter dem Namen „Kingdom Wrestling“ christliches Wrestling. Auch hier gibt es einen Ring und bunt bekleidete Muskelprotze, die sich scheinbar ordentlich auf die Köpfe hauen. Doch hier steht der Ring inmitten einer Kirche, ringsum sind bunte Kirchenfenster, die Gäste sitzen auf Kirchenbänken, und der eine oder andere Wrestler trägt auf seinen nackten Körperteilen christliche Tattoos.
Die Veranstaltung in der Gemeinde, die zur Kirche von England gehört, kombiniert Gebet, Gottesdienst und Zeugnisse mit der Show ums Verkloppen. Gekämpft wird – wie beim Wrestling üblich – auch viel außerhalb des Ringes. Dann wirft sich ein Kämpfer aus der Luft auf einen vor ihm liegenden Gegner, ein herzhafter (gespielter) Tritt in die Magengrube folgt auf das Herumwirbeln durch den Ring. Eine Schiedsrichterin tut so, als bewerte sie das Geschehen oder greife ein, wenn es zu wild wird. Immer ist beim Wrestling auch Spaß dabei, weil sowohl Zuschauer als auch Wrestler wissen, dass alles nur Show ist und übertrieben werden darf.
Gründer stammt aus zerrüttetem Elternhaus und fand in der Kirche zu Gott
Der 38-jährige Gareth Thompson gründete „Kingdom Wrestling“ und hat inzwischen über 30 Menschen getauft und Dutzende Shows abgehalten, berichtet die britische „Times“. „Jeder Christ wird Ihnen sagen, dass man im Leben mit Dingen ringt, mit seinem Glauben“, sagte Thompson der Zeitung. „Und wenn man vor einer wirklich schwierigen Herausforderung steht, wie sieht man Gott in dieser Herausforderung und wie bleibt man im Glauben? Ich glaube wirklich, dass uns das Ringen die Möglichkeit gibt, diese Geschichten zu erzählen.“
Thompson ist selbst professioneller Wrestler. „Hier geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse“, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur „Associated Press“ (AP). Sein eigener Kampfname lautet „Angel“ (Engel). Auf seinem Wrestling-Shirt stehen die Worte „Pray, Eat, Wrestle, Repeat“ (Beten, Essen, Ringen, Wiederholen).
Vor der Gemeinde erklärt Thompson, er stamme aus einem zerrütteten Elternhaus. Sein Vater verließ ihn, als er noch klein war, seine Mutter war Alkoholikerin. Er wurde als Kind sexuell missbraucht, mit 15 Jahren obdachlos und lebte in einem Container. Doch eines Tages, nach jahrelangem Kampf, lud ihn ein Freund in die Kirche ein. Er erinnert sich: „Während des Gottesdienstes schluchzte ich einfach nur und konnte es nicht kontrollieren. Nach dem Gottesdienst kam ein Typ auf mich zu und sagte: ‚Du hast gerade zum ersten Mal in deinem Leben Liebe gespürt und wusstest nicht, was du damit anfangen sollst.‘ Er hatte völlig recht. Und von diesem Moment an versuchte ich, diese Sache zu verstehen.“
„Die Leute kommen, um mehr über Gott zu erfahren“
Wrestling sei schon immer ein Teil seines Lebens gewesen, er habe es im Fernsehen immer zusammen mit seiner Großmutter geschaut. Im Jahr 2011 wurde er Christ, und wenige Monate später habe er sich seinen Kindheitstraum erfüllt und wurde selbst Wrestler. „Diese zwei Dinge gehören bei mir zusammen“, so Thompson. „Wrestling war für mich immer eine Flucht. Dann hat Gott das herumgedreht: Nun kann es die Leidenschaft für andere Menschen werden, und sie können in Kontakt mit dem christlichen Glauben kommen. Wir können ihnen etwas von Jesus erzählen.“ Auch die biblischen Geschichten von David und Goliath, Kain und Abel oder Esau, dem sein Erbe gestohlen wurde, würden hier lebendig. Vor jedem Match werde gebetet, mit allen Kämpfern zusammen.
Auch die Pastorin der Gemeinde, Natasha Thomas, ist im AP-Beitrag im Ring zu sehen, sie betet: „Jesus, du bist das Licht der Welt.“ Die Wrestling-Gemeinde antwortet laut: „Amen.“ Sie sei sich erst unsicher gewesen, ob das Ringen in der Kirche nicht zu brutal sei, sagte die Geistliche. „Lebt man da etwas vor, zu dem man die Menschen nicht ermutigen will?“ Doch ihre Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt. „Die Leute kommen, um mehr über Gott zu erfahren. Sie kommen, um zu beten. Ich empfinde es als einen echten Segen.“ Gegenüber der „Times“ sagte die Pastorin: „Wir wollen zeigen, dass Kirche ein lebendiges Gebäude ist. Manche Menschen haben vielleicht eine bestimmte Vorstellung davon, was Kirche sein kann, aber eigentlich kann Kirche alles sein, was mit Gottesanbetung und Spaß zu tun hat – und Ringen gehört dazu.“
Eine Besucherin, eine ältere Dame, zeigte sich den Journalisten gegenüber sehr glücklich: „Ich lobe Gott für dieses Event und für das Team, das diese Arbeit aufgebaut hat. Danke, Jesus!“ Alles, was die Herzen der Menschen anrühre, sei willkommen. Es sei „wunderbar“, dass so ein unkonventionelles Konzept in dieser Kirchengemeinde möglich sei. Ein jüngerer Besucher sagt: „Dieses Programm hilft Menschen, die auf der Suche nach einer Vater-Figur sind. Es ist fantastisch!“
Die Church of England kämpft mit schrumpfenden Mitgliedszahlen. Aktuelle Daten zeigen, dass die Besucherzahlen bei den Sonntagsgottesdiensten seit der Zeit vor der Pandemie um mehr als 20 Prozent zurückgegangen sind und in mehr als einem Viertel der Kirchen nicht mehr jeden Sonntag ein Gottesdienst stattfindet, berichtet die „Times“ und fügt hinzu: „Thompson führt Gespräche mit anderen Kirchen in England und Wales, um ähnliche Initiativen zu entwickeln.“