Rezo spielt das „Journalismus-Game“

Es ist nicht alles schlecht an diesem neuen Rezo-Video. Der YouTuber, der sich vielleicht ein wenig selbst überschätzt, aber immerhin eine enorme Wirkung auf seine Millionen vor allem jüngeren Zuschauer hat, gibt sich zugegebenermaßen alle Mühe, seine Gesellschaftskritik an den Mann zu bringen. Auf alle Fälle hat diese Gesellschaft, die er immer wieder wachrütteln will, mehr davon als ein weiteres Game- oder Musik-Video. Rezo, der Internet-Politiker mit blauen Haaren, hat – nach seinem vielbeachteten „Die Zerstörung der CDU“-Video wieder zugeschlagen. Ein Kommentar von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Der YouTuber Rezo hat sich in einem neuen Video die deutsche Presse vorgenommen: Sie arbeite nicht sauber und distanziere sich nicht genügend vom Boulevard, lauten zwei seiner Vorwürfe.

Rezos Video ist eine Stunde lang, und die erste Hälfte davon ist beachtenswert scharfkantig: Er prangert sehr richtig, gut recherchiert und aufrichtig aufgeregt an, wenn Journalisten ihre Macht für den eigenen Zweck missbrauchen. Die Boulevard- und Regenbogenpresse wühlt in intimen Verhältnissen rum, lügt über angebliche Kinder, Krankheiten und Kuppelungen von Promis, dass sich die Balken biegen. Und ja, auch die größte aller bunten Blättchen, die mit den vier Buchstaben, setzt sich regelmäßig über Persönlichkeitsrechte hinweg und stellt sich über wissenschaftlichen Konsens.

Rezo nimmt die Unwahrheiten, die in den Sozialen Medien besonders zum Corona-Virus verbreitet werden, zum Anlass für eine Rundumkritik an „den Medien“, oder auch: „der Presse“. Leider kommt er da bei der Unterscheidung zwischen den „seriösen“ Medien und dem Schund der Verschwörungstheoretiker gehörig ins Schlingern.

Dass Merkel Grundrechte abschaffen will, dass die Regierung eine flächendeckende Impfpflicht einführen und den Menschen Chips implantieren möchte oder dass das Corona-Virus gar nicht so schlimm ist, wie von vielen Virologen behauptet, dass Microsoft-Gründer Bill Gates die Geschicke Deutschlands im Hintergrund lenkt, das alles liest man eben dort: Im bunten Pool der Sozialen Medien, wo eben jeder veröffentlichen kann, was ihm am Küchentisch so eingefallen ist. In der „seriösen“ Presse ist jedenfalls nichts davon zu lesen.

Zweifel gegenüber Medien berechtigt

Rezo kritisiert: Die seriösen Medien distanzierten sich nicht ausreichend von den Schund-Medien. Der Bauer-Verlag etwa mache durch Publikationen wie „das neue“ regelmäßig Schlagzeilen und viel Geld mit Unwahrheiten über Personen der Öffentlichkeit. Die Folge: Immer mehr Menschen seien geprägt von einem tief sitzenden Misstrauen allen Medien gegenüber – eben auch den eigentlich seriösen. Abgesehen von der Frage, ob die Hausfrau, die neue Skandalgeschichten in den europäischen Adelshäusern lesen möchte, zur selben Gruppe gehört, die Videos von Attila Hildmann sieht, übertreibt Rezo vielleicht ein wenig. Aber im Kern hat er natürlich recht. Jeder Mediennutzer muss immer kritisch bleiben. Und es gibt Zeitungen, bei denen man sich besonders darüber im Klaren sein muss, dass es ihnen weniger um die Wahrheit oder Anstand geht, sondern um die Auflage. Aber wer den sozialen Medien, in denen Hinz und Kunz seine schwachsinnigen Thesen verbreiten kann, genau so glaubt wie einem Journalisten, der sein Handwerk (hoffentlich) in einer Journalistenschule gelernt hat, der ist – bis zu einem bestimmten Grade – selbst schuld. Dummheit schützt vor Strafe nicht. Und Ignoranz nicht vor Verschwörungstheorie. Aber in Stein meißeln könnte man die Worte Rezos: „Die Leute, die sowas lesen, werden daran gewöhnt, Bullshit zu lesen und keinen Anspruch an den Wahrheitsgehalt in den Medien zu haben.“ Und die Menschen fänden sich immer mehr damit ab, dass man Medien grundsätzlich misstrauen sollte. „Und darunter leidet natürlich grundsätzlich Glaubwürdigkeit von Berichterstattung.“

Leider ruft Rezo in seinem Video, das wohlgemerkt den Titel trägt „Die Zerstörung der Presse“, allzu oft Verschwörungstheoretiker wie KenFM und Attila Hildmann in den Zeugenstand. Dies sind offensichtlich keine Journalisten (mehr) und haben mit der von Rezo so gescholtenen „Presse“ so viel zu tun wie Angela Merkel mit blauen Haaren.

Und ja, die Berichterstattung der Bild-Zeitung Ende Mai über die angeblichen Fehler des Virologen Christian Drosten und die angeblichen Kollegen, die ihm alle widersprechen, war ein Fauxpas. Mehr noch: selten zuvor wurde in der Öffentlichkeit so offenbar, mit welchen widerlichen Mitteln die Zeitung versucht, eine eigene Kampagne durchzuziehen: Die Einschränkungen an Schulen und Kitas im Kampf gegen das Corona-Virus seien übertrieben. Der verantwortliche Bild-Redakteur riss Zitate aus wissenschaftlichen Arbeiten aus ihrem Kontext, so dass sich deren Autoren selbst sofort von den Behauptungen distanzierten, er gab scheinheilig Drosten in einer E-Mail (!) eine Stunde (!) Zeit, um auf eine komplizierte Anfrage zu antworten, und setzte sich am Ende über die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Mehrheit der Virologen weltweit hinweg.

Das alles, was bereits zu Genüge in den Medien (und zwar den seriösen!) ausgearbeitet wurde, zerreibt Rezo auch in seinem Video noch einmal vor seinen Zuschauern. Er betont dabei zu Recht: „Wenn Journalisten mit Menschen wie dir und mir nicht auf Augenhöhe stehen, sondern Menschen schaden, egal ob wegen eigener Agenda oder Schmutzkampagne oder einfach Geilheit auf Klicks, dann ist das abgefuckt.“ Auch hier: Eine Folge davon sei, dass das Misstrauen gegenüber der Presse insgesamt steige. Aber die Bild-Zeitung mit der normalen, seriösen Presse zu vergleichen, ist etwa so wie ein Rezo-Video mit dem ARD-„Monitor“ zu vergleichen.

Christliche Werte beim Pfarrerssohn verinnerlicht

Wichtig und richtig ist zudem Rezos Entsetzen über die weiterhin bei der Bild-Zeitung häufig praktizierte Methode, Opfer von Unfällen oder Entführungen mit Foto und Namen ohne Einverständnis der Angehörigen abzudrucken für die Auflage. Die Bild-Zeitung breche „moralisches Gesetz permanent“, sagt Rezo, dessen beide Elternteile Pfarrer sind, ebenso wie sein Großvater, zwei Tanten und zwei Onkel, und der von sich selbst sagt, die christlichen Werte verinnerlicht zu haben. Personen des öffentlichen Lebens würden in dem Blatt regelmäßig zunächst dargestellt als Opfer von Attacken, um dann in späteren Ausgaben deren Wohnsitz preiszugeben mitsamt Foto vom Haus und dem Klingelschild. Bild-Chef Julian Reichelt lehne es indes ab, öffentlich über sein Gehalt zu sprechen, weil das seiner Meinung nach seine Familie in Gefahr bringe. Gleichzeitig veröffentlicht seine Zeitung gerne die Gehälter von Prominenten. Rezo: „Wenn eine Instanz keine moralische Integrität besitzt, dann ist ein gewisses Maß von Verachtung deren Verhalten gegenüber absolut konstruktiv.“ Und er warnt seine Zuschauer: „Bitte übertragt dieses Urteil nicht auf die seriösen Zeitungen.“

Damit könnte das Video enden. Die Bild-Zeitung hat ihr Fett abbekommen, die Regenbogenpresse ist pfui, und Videos von Verschwörungstheoretikern sind lustig, aber dumm. Aber Rezo versucht nun weiter, Fälle zu finden, in denen seriöse Pressevertreter einen ähnlichen Murks veranstalten. Leider bleibt seine Beweislage hier erschreckend dünn. Er versucht es mit dem „Ich-stelle-ja-nur-Fragen-Spiel“, aber seine genannten Bespiele taugen kaum als Beweis.

„Müssen wir alle abstürzen? Ist das Teil des Programms?“ titelte die Neue Zürcher Zeitung, aber anders als von Rezo behauptet, geht es gar nicht um Corona, sondern um eine Kunst-Ausstellung im Kunstmuseum Bern mit dem Titel „Alles zerfällt“. Und als die Sächsische Zeitung titelte „Was hat Bill Gates mit Corona zu tun?“, tat sie nichts anderes, als genau diese Frage zu beantworten. Von Click-Bait keine Spur. Die Überschrift „Donald Trump und der tiefe Staat: Mehr als eine Verschwörungstheorie?“ (Handelsblatt) steht schlichtweg über einer Rezension eines Buches, das noch vor Corona geschrieben wurde und von Geheimdiensten handelt. Die Welt bot in einem Artikel mit der Überschrift „Was, wenn wir nicht durchhalten?“ einen klugen Ausblick auf mögliche Fehlentscheidungen in der Coronakrise. Rezo spricht hier von einer „Fantasy-Spekulation“. Abgesehen davon, dass dieses Wort-Konstrukt keinen Sinn ergibt, prangert er an, dass der Artikel „zwischen den ganz normalen Nachrichten“ stehe und den „normalen Leser“ beeinflusse. Wer allerdings nicht unterscheiden kann zwischen einer Nachricht und der Analyse eines Wirtschaftsprofis, der sollte keine Zeitung anfassen, weil sie zu gefährlich für ihn ist. Rezo regt sich auf: „Ein Journalist, der auch Herausgeber vom Handelsblatt ist, schreibt: „Die Bevölkerung denkt über Wirtschaftsminister Peter Altmaier wenig vorteilhaft: außen rund und innen zu luftig.’“ Ja, es ist nicht lauter für einen Journalisten, seine eigene Meinung zu tarnen als „Die Bürger denken so“. Es handelt sich bei dem Gescholtenen um Gabor Steingart, der allerdings seit 2012 nicht mehr Chefredakteur des Handelsblatts ist und seit 2018 auch nicht mehr dessen Herausgeber. Außerdem schrieb Steingart diesen Satz nicht im Handelsblatt, sondern in seinem persönlichen Weblog.

Sicher hat Rezo mit vielen seiner Aussagen recht. Etwa mit seinem Aufruf: „Liebe seriöse Zeitungen, auch ihr habt eine große Verantwortung in dieser Sache. Damit man nämlich weiß, dass eure Standards höher sind, solltet ihr vielleicht klarer machen, dass ihr euch von diesen Asi-Zeitungen distanziert.“ Und: „Solange ihr als seriöse Presse diese Linie nicht völlig klar macht, erzeugt ihr weiter unnötiges Misstrauen und Verunsicherung. Und damit spielt ihr letztlich den Hetzern und Verschwörungsleuten in die Hände.“

Rezo, der Experte für Rezo

Dann wird es aber etwas peinlich. Er möchte anprangern, wo überall Journalisten schlecht recherchiert haben. Und das geht am besten anhand eines Themas, bei dem er sich am besten auskennt. „Und das Thema, bei dem ich mich am besten auskenne, bin ich selbst.“ So als wäre das Thema „Rezo“ gleichbedeutend etwa mit „Kernphysik“, „Europäische Wirtschaft“ oder „Mondlandung“, für die Zeitungen Ressorts einrichten oder die in der Schule behandelt werden. Aber sei’s drum, im Prüfungsfach „Rezo“ hatte Rezo immer eine Eins. Er hat mit einer Kollegin angeblich 1.700 Zeitungsartikel analysiert, bei 400 davon hat er „ordentlich gefact-checkt“. Fazit (wen könnte es überraschen?): Viele, viele Fehler. Die Welt weiß offenbar noch viel zu wenig über Rezo.

In der zweiten Hälfte seines Videos kann Rezo fröhlich alles abstreiten, was die Medienwelt über Rezo verbreitet hat. Denn er ist nicht nur Experte für Rezo – er ist Rezo selbst. Ein weiteres Problem: So wichtig Rezo Rezo ist, so unwichtig und unterrepräsentiert ist das Thema in den „seriösen“ Medien. Rezos Argument: Wenn die Zeitungen schon bei dem großen Rezo sich irren, dann steht es schlimm um die deutsche Medienlandschaft, wirkt irgendwie lustig, weil Rezo auch mit dem größten Wohlwollen nun einmal nicht so wichtig ist wie die restlichen Themen, die ab und zu auch in der Zeitung stehen. Die Irrtümer, die Rezo da über sich in den Meldungen findet, kann man sie wirklich zu einer „Zerstörung der Presse“ ins Feld führen?

Rezos restliche Belege kreisen dann leider wieder nur um Verschwörungstheoretiker wie Ken Jebsen und Attila Hildmann und entwickeln keine Kraft mehr. Am Ende weiß man gar nicht mehr, wen er nun anprangert: verrückte Verschwörungstheoretiker oder seriöse Journalisten. Und damit macht Rezo genau dasselbe, was er in der ersten Hälfte seines Videos angeprangert hat: Nämlich den Leser / Zuschauer im Dunkeln darüber lassen, worum es genau geht. Seine am Ende revolutionär präsentierte Idee zur Verbesserung des Journalismus lautet: Online-Artikel sollten Links zu den Quellen beinhalten. YouTuber machen das! Oder wie Rezo es ausdrückt: „Da tragen YouTuber auf jeden Fall dazu bei, das Journalismus-Game aufs nächste Level zu bringen.“

Rezo muss ja nicht erwarten, dass er nun mit seinen beeindruckenden „Skills“ (er kann Quellen verlinken) von Journalistenschulen als Dozent eingeladen wird, aber erwartet er wirklich, dass ihn die „seriösen“ Journalisten (wer auch immer das ist) mit diesem jugendlich-internetigen Rant da in allem so ernst nehmen?

Von: Jörn Schumacher

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