Meinung

Respekt, Herr Palmer

Boris Palmer hat sich nach einem völlig unangemessenen Holocaust-Vergleich eine Auszeit verordnet. Das ist aller Ehren wert.
Von Nicolai Franz

Boris Palmer ist ein beliebter und erfolgreicher Oberbürgermeister. Zwar regiert er keine Metropole, sondern das beschauliche Tübingen. Trotzdem brachte er es regelmäßig auf die Bühne der Bundespolitik mit seinen unkonventionellen, teils auch provokanten Positionen: in der Corona-Politik, im Kampf gegen den Klimawandel, vor allem in der Migrationspolitik.

Doch immer wieder überdrehte er auch verbal, um politische Korrektheit scherte er sich dabei nie. Bisher wirkte es immer so, als sage Palmer eben das, was er denke. Das brachte ihm rechts der Parteigrenzen der Grünen, denen er nun nicht mehr angehört, Sympathien ein. Für seine Parteifreunde wurde er zunehmend zum Ärgernis, mit seinem eigenen Verband überwarf er sich, gewann die Wahl 2022 als parteiloser Kandidat trotzdem haushoch.

Doch bei diesem Fehltritt am vergangenen Wochenende war etwas anders. Palmer sprach vor einer Veranstaltung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main mit Menschen, die gegen ihn demonstrierten. Mehrmals spricht er da das N-Wort aus („Ich sage ‚Neger‘, …“), was von den Protestlern mit „Nazis raus“-Rufen quittiert wird. Palmer klatscht im Takt mit und sagt „Ja, ich will keine Nazis in diesem Land. Aber Sie bewerten Menschen anhand von einem einzelnen Wort. Das ist nichts anderes als der Judenstern.“

Nicht nur benutzte Palmer also das N-Wort, was aus verschiedenen Gründen hochproblematisch ist. Sondern er relativierte auch noch den Holocaust – so wie übrigens die Demonstranten das Dritte Reich relativierten, als sie Palmer als Nazi bezeichneten. Es brach eine Welle der Kritik über den Politiker herein.

Doch anders als sonst ließ er sie nicht trotzig an sich abprallen. Sondern übte sich in Selbstkritik. Und zwar in einer Weise, die durchaus glaubwürdig wirkt.

„Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht“, so Palmer in einer Erklärung. Die Nazi-Rufe hätten in ihm Erinnerungen wachgerufen, wie der SWR berichtet: „An den Besuch des von Neo-Nazis geschändeten Friedhofs mit den Gräbern seiner Vorfahren. An den Vater, der mit dem Judenstern auf der Brust gegen Unrecht demonstrierte. An die Gruppe Jugendlicher, die ihm als Junge Schläge androhten und riefen, man habe nur vergessen, seinen Vater zu vergasen.“

Ein ehrenwerter Schritt

Die Erwähnung des Judensterns sei ein Fehler gewesen. Palmer gab am 1. Mai nicht nur seinen Austritt aus der Partei der Grünen bekannt, sondern auch, dass er eine Auszeit nehmen wolle. Er wolle professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, „um zu versuchen, seinen Anteil an zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten“, wie der SWR berichtet.

Das ist ein ehrenwerter Schritt, zeigt er doch, dass Palmer zur Selbstreflexion fähig ist. Nein, der Erregungskreislauf des Internets ist nicht immer daran schuld, wenn jemand Kritik abbekommt – manchmal ist sie auch verdient. Heutzutage tendieren kritisierte Politiker und Journalisten eher dazu, sich zu radikalisieren und empörte Follower um sich zu scharen. Dass Palmer stattdessen seine eigene Rolle aufarbeiten will, zumal mit professioneller Hilfe, das sollten gerade seine Kritiker goutieren. Ohne Wenn und Aber.

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