Die Religionsfreiheit wird weltweit immer häufiger verletzt. Das hat Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) im Rahmen einer Unionsfraktionsveranstaltung zum Thema Christenverfolgung erklärt. Religion sei aber in den wenigsten Fällen der wahre Grund für die Auseinandersetzungen.
Von PRO
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Gerd Müller fragt: „Wo ist Toleranz und Religionsfreiheit überhaupt umgesetzt?”
Christen und Muslime würden in 110 Ländern verfolgt, sagte Müller am Dienstag bei der Veranstaltung „Menschenrecht Religionsfreiheit – Wie schützen wir verfolgte Christen?“ im Deutschen Bundestag. In mehr als einem Drittel der Staaten der Erde seien terroristische Gruppen aktiv. „Da fragt man sich: Wo ist Toleranz und Religionsfreiheit überhaupt umgesetzt?“, sagte Müller. Mit Blick auf die Weltkarte erklärte er: „Es sind Angehörige aller Religionen betroffen.“ Die Union beschäftige sich besonders mit Christen, weil diese am häufigsten verfolgt würden. An zweiter Stelle folgten die Muslime. So mache die Terrororganisation Boko Haram in Nigeria beim Morden keinen Unterschied zwischen Christen und Muslimen. Im Nordirak und in Syrien erlebe die Weltgemeinschaft die „größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“. Die Zerstörung von Kirchen und anderen religiösen Bauwerken sei eine „Apokalypse“.
Doch auch dem IS gehe es nicht wirklich um Religion, sondern um Macht und Geld. „Wenn wir zum Schutz von Minderheiten Gewaltkonflikte beenden und neue verhindern möchten, dann müssen wir an die wahren Hintergründe herangehen“, sagte Müller. Deutschland sei ein christlich geprägtes Land. Das zeige das Grundgesetz durch seinen Bezug auf Gott. „Als Christen glauben wir, dass alle Menschen Gottes Kinder sind“, begründete der Minister das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses sei jedoch keine Selbstverständlichkeit – wie auch die vielfältigen Religionskriege in Europa gezeigt hätten. Er wolle nun darauf drängen, dass sich sein Ministerium in den kommenden Jahren verstärkt mit der Frage der Religionsfreiheit beschäftige – gemeinsam mit den Kirchen und Hilfsorganisationen.
Glaube bis zum Tod
Markus Rode, Geschäftsführer vom Hilfswerk Open Doors, wandte sich gegen die Interpretation, es handele sich etwa in Nigeria nicht um einen Religionskrieg. „Man darf das nicht wegdrücken“, sagte er. Christen hätten vielerorts Probleme, weil sie Christen seien – und nicht nur deshalb, weil es in den Regionen Armut gebe. Im Islam gebe es schlicht keine Religionsfreiheit. Er beschrieb die Lage der Christen im Irak oder Syrien: „Für Christen ist der Glaube an Jesus Christus so essenziell, dass sie sogar bereit sind, einen sehr hohen Preis dafür zu bezahlen – bis hin zum Tod.“ Sie lebten in dem Dilemma, einerseits ihren Glauben bezeugen zu wollen und andererseits als Christen bedroht zu sein. Seinem Erleben nach sorgten sich die Christen in den betroffenen Gebieten vor allem darum, von der Weltöffentlichkeit vergessen zu werden.
Prälat Klaus Krämer von der katholischen Organisation Missio stimmte Rode zu: „Christen wollen ihre Gesellschaft mitprägen.“ Ein Drama sei es, dass sie diese Option vor dem Hintergrund eines christlichen Exodus zum Beispiel im Irak nicht mehr hätten. Die Stärke, mit der der Islamismus derzeit um sich greife, sieht Krämer auch als Folge westlicher Politik in Afghanistan und dem Irak. Die Abgeordnete Sabine Weiss (CDU) forderte eine rasche finanzielle Nothilfe für die Flüchtlinge im Irak. „Wir haben vielleicht noch acht Wochen Zeit, bevor dort der Winter anbricht.“ Der Kirchenbeauftragter der Union, Franz Josef Jung (CDU), verteidigte ein militärisches Vorgehen gegen den IS. Es gebe Grenzfälle, in denen die Diplomatie an ihre Grenzen komme, sagte er.
Irak: Westen muss schneller handeln
Über die Lage im Nordirak sprach Othmar Oehring, Leiter des jordanischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Rund 100.000 Flüchtlingen seien dort jüngst vom IS vertrieben worden. Unter ihnen fänden sich Christen, Jesiden und andere Religiöse, die vom IS als ungläubig eingestuft würden. „Entführungen, Vergewaltigungen, Mord und Totschlag werden hier zum Normalfall“, sagte Oehring. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung seien vom Terror des IS im Land vor allen Dingen Muslime betroffen. Kritik übte Oehring an dem Umgang des Westens mit den zahlreichen Konflikten im Nahen Osten. Politische Entscheidungen müssten „viel schneller“ getroffen werden, um effektiv zu helfen, sagte er. Im Irak befürchtet Oehring einen Religionskrieg, wenn nicht aktiv Bildungsarbeit betrieben werde, die über die Glaubensrichtungen aufklärt und so Stereotypen entgegenwirkt. Auch hier gelte: Religion sei nur ein vorgeschobener Grund für den Konflikt. Tatsächlich gehe es um Macht. Es sei zu befürchten, dass alle nun beschlossenen militärischen Maßnahmen zu spät kommen. Wohl kaum würden die Flüchtlinge jemals in ihre Heimat zurückkehren, selbst wenn Frieden einkehre. Entschiedenere Worte und klare Leitlinien dazu wünschte er sich von den Kirchenführern vor Ort.
Nigeria: Verwahrlostes Land, brutale Terroristen
Johannes Harnischfeger, Afrikanist an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hat drei Jahre lang in Nigeria gelebt. Er erklärte, die meisten Opfer von Boko Haram seien Muslime. Zum einen griffen die Terroristen zwar gezielt christliche Gottesdienst-Versammlungen an. Zum anderen zielten sie aber auch auf die muslimische Zivilbevölkerung. Die Etablierung eines islamischen Staates im Norden Nigerias hält Harnischfeger dennoch langfristig für unwahrscheinlich. Die Menschen vor Ort seien derart arm, dass die Terroristen kaum genug Steuern eintreiben könnten, um eine Herrschaft aufzubauen. Auch eine Kooperation mit anderen islamistischen Gruppen, etwa dem IS, hält Harnischfeger für unrealistisch. Boko Haram wolle eigene Privilegien erhalten, die andere Islamisten möglicherweise kritisch sähen. So sei Ehebruch bei Boko Haram durchaus an der Tagesordnung. Harnischfeger zeigte sich pessimistisch, was die Zukunft des Staates angeht: Eine Lösung für die Krise in Nigeria sei nicht in Sicht. Armut und Korruption seien die wahren Probleme des Landes. Investitionen in Bildung und Infrastruktur seien notwendig – derzeit aber nicht in Sicht. Stattdessen hätten die Führer Nigerias ihr Land über Jahre hinweg verwahrlosen lassen. (pro)
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