In Berlin haben Wissenschaftler darüber diskutiert, wie es Judentum, Islam und Christentum mit Reformen halten. Dabei kam heraus: Alle drei Weltreligionen sind nicht „globalisierungsfähig“.
Von PRO
Foto: pro / Norbert Schäfer
Jan Assmann, Karl-Josef Kuschel, Angelika Neuwirth, Volker Leppin und Dirk Pilz (v.l.n.r.) diskutierten über die Bedeutung von Reformen in den drei Weltreligionen
Unter dem Eindruck des anstehenden Reformationsjubiläums 2017 und der „Luther-Dekade“ haben am Dienstag in der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Forscher darüber diskutiert, wie es die drei dominierenden Religionen Judentum, Islam und Christentum mit Reformen halten und welche Triebkräfte und Widerstände damit einhergehen. Der Publizist Dirk Pilz konstatierte, dass der Ruf nach Reformen „das Leitmotto unserer Gesellschaft geworden ist“. Wer sich nicht reformiere, bleibe auf der Strecke. „Das ist das Dogma der Politik“, sagte Pilz, der die Veranstaltung am Dienstag moderierte. Der Ruf nach Reformen sei nach den jüngsten Skandalen um die FIFA und die Manipulationen im Volkswagenkonzern zu vernehmen. Es bestehe derzeit ein regelrechter Reformstress. „Die Religionen, nicht allein der Islam, stehen unter einem Modernisierungsdruck“, sagte Pilz.
Darf an heiligen Schriften gerüttelt werden?
Der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann erkennt „zwei Instanzen der Forderung nach Erneuerung und Reformen“. Religionen stünden unter dem äußeren Zwang, sich einer veränderten Welt anzupassen. Andererseits entstünde bei spezifisch monotheistischen Religionen ein Druck von innen. „Er ist typisch für Religion, die einen Kanon heiliger Schriften haben. An denen darf nicht gerüttelt werden. Da darf nichts hinzukommen und es darf nichts weg genommen werden. Alles was dann noch möglich ist, geschieht auf der Ebene der Auslegung“, sagte Assmann.
Die „sogenannten heidnischen Religionen“ könnten ihre Schriften immer wieder verändern und erweitern, Neues hinein nehmen. Der Modernisierungsdruck sei enorm und gelte für die Wissenschaft, die Technologie auch für die Kunst, nicht jedoch unbedingt für die Religion. „Wir dürfen nicht vergessen, dass das Element „re“ mit darin steckt“, sagte Assmann. Es hiesse nicht „Proligion“ sondern „Religion“. Die Reformation der ästhetischen Formen der Religion findet Assmann bedauerlich. „Das protestantische Kirchenlied ist eines der größten Errungenschaften der abendländischen Musikgeschichte. Man kann das mit modernen Kirchenliedern irgendwie nicht verbinden. Das ist ein Schatz, von dem sollte man sich nicht entfernen“, sagte der Religionswissenschaftler. Die Religion sollte sich nicht unter den Druck der Anpassung stellen, sich jedoch nicht zu weit entfernen von den Impulsen.
„Echte Reform im Christentum war immer auch ‚Zurück auf die Kernbotschaften‘“, sagte der katholische Theologie Karl-Josef Kuschel und verwies auf die Familiensynode seiner Kirche: „Wir haben gegenwärtig einen Papst, der der Weltöffentlichkeit in den letzten drei Wochen vorgeführt hat, wie schwer es ist, diese Kernbotschaft vom barmherzigen Gott, seiner Kirche zu vermitteln“. Die Öffentlichkeit hätte ein Schauspiel erlebt, wie der Ruf nach Reform fast zur Verschwörung und zur Spaltung geführt habe in der katholischen Kirche. Geistige Erneuerung, innere Erneuerung würde stets polarisieren und zu Machtkämpfen führen, weil es um mehr ginge, als bloße Anpassung an den Zeitgeist.
Die katholische Kirche sei bis zum zweiten Vatikanischen Konzil von zwei Paradigmen überrollt worden. „Die katholische Kirche war bis zum zweiten Vatikanum erstarrt in einem mittelalterlichen, gegenreformatorischen, antimodernistischen Paradigma. Zwei Pardigmen, die der Reformation und der Aufklärung hatten sie überrollt. Sie musste reagieren. Sie hat unter anderem dadurch reagiert, neue Paradigmen durch Authentifizierung zu vereinnahmen.“ Bis dahin hätte die Katholischen Kirche die Idee der Menschenrechte als sündhaft verurteilt. „Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit waren eine teuflische Versuchung für die Kirche.“ Mit dem zweiten Vatikanum habe man diesen modernen Menschenrechtsgedanken, der nicht dem Boden der Kirche gewachsen sei, sondern auf dem Boden der Aufklärung, integriert, „authentifiziert“, erläuterte die katholische Theologe. „Wir sind jetzt in einer Spätphase, wo immer noch eine Agenda nicht erledigt ist, bis hin zu dieser Bischofssynode. Wie gehen wir um mit den Geschiedenen, Wiederverheirateten, Homosexuellen? Das ist die Spätphase dieser Agenda, die im zweiten Vatikanum nicht akzeptiert wurde, die im Grunde aus der Menschenrechtsbewegung der Aufklärung stammt“, sagte Kuschel.
Die drei Religionen müssten nach Auffassung von Assmann mit einer vierten Kraft auskommen, dem „säkularen Humanismus, der die Menschenrechte hervor gebracht hat“. Seiner Auffassung nach sei der Humanismus „das einzige Programm, das globalisierungsfähig ist“. Was wir von den Flüchtlingen die zu uns kommen erwarteten sei nicht, dass sie mit dem Christentum und dem Judentum zurecht kämen, sondern mit der zivilen Ordnung, mit der zivilen Gesellschaft die sich auf Recht und Menschenrechte verpflichtet. „In der Tat ist es der affektive Monotheismus, die Idee des Bundes, des Liebesbundes und der Forderung der Treue, aus der die Gewalt kommt“, sagte der Ägyptologe.
Rigorose Trennung von biblischer Tradition
Angelika Neuwirth, Universitätsprofessorin für Arabistik an der Freien Universität Berlin, sagte, dass auch der Islam eine Reihe Neudenker hervorgebracht habe, die durchaus als Reformatoren bezeichnen werden könnten. Sie gehörten jedoch noch nicht zum Kanon unseres Islamverständnisses und seien „als Teil der islamischen Gegenwartstheologie noch wenig rezipiert“ worden. Die Reformen des Islam im 19. Jahrhundert müssten hingegen erneut in Frage gestellt werden. „Damit ging die Anerkennung über Bord, dass die Bibel, oder die biblische Tradition, einen ganz großen Anteil am Koran hat. Von dieser Tradition hat man sich rigoros getrennt“, sagte Neuwirth.
Islamische Reformen werden öffentlich ignoriert
Es müsse eine Infragestellung der Reform des 19 Jahrhunderts erfolgen. „Der Islam“ sei eine reichlich generelle Formulierung. „Ich bin immer etwas geschockt, wenn wir über den Islam sprechen und dabei den mehrheitlich hier vertretenen Islam meinen und die Neudenker, die es im Islam gibt, ignorieren“, sagte die Geistes- und Kulturwissenschaftlerin. Es gebe durchaus islamische Institutionen, die an einer Reform arbeiteten. Diese gelte es in der Öffentlichkeit wahr zu nehmen und zu fördern. Heute vermisse sie die Synergie, die vom Dialog der Religionen ausgehe. Es gelte geeignete Methoden zu finden, um Brücken zu schlagen. „Wie gehen wir an heilige Schriften heran, so dass es für alle Religionsgemeinschaften akzeptabel erscheint“.
Zum aktuellen Verlangen der Öffentlichkeit nach Reformation der Religionen erklärte der Kirchengeschichtler Volker Leppin: „Es ist ein Gärungszustand, der in gewisser Weise dem spätmittelalterlichen vergleichbar ist.“ Reform bedeute in einer Religion, dass ein Identitätswandel vollzogen werde mit dem Anspruch einer Identitätswahrung. „Dazu brauche man Instanzen, die akzeptiert sind“, sagte der Theologe. (pro)
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