„Religion ist gesellschaftliche Ressource“

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat vor Vorurteilen gegenüber Muslimen und vor einem "Kampf der Kulturen" gewarnt. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hingegen hat erneut in einem Vortrag  einen frauenfeindlichen Islamismus angeprangert.
Von PRO

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat laut Welt.de eine vorurteilsfreie Diskussion über Religion und ihre Rechte "statt Angstdebatten" angemahnt. Äußerungen über den Islam etwa blieben viel zu oft "unbeschwert von Sachkenntnis". Die Ministerin warnte vor den Folgen einer "Stigmatisierung". Sie führe zu Ausgrenzung, Ausgrenzung führe zu Fundamentalismus.

Jede Religion müsse innerhalb der Grenzen der Grundordnung "die gleichen Chancen erhalten, soll Gehör für ihre Anliegen zu finden", so Leutheusser-Schnarrenberger. Für sie sei etwa das Recht der christlichen Kirchen zum morgendlichen Läuten der Glocken genauso schützenswürdig wie der Bau vom Moscheen.

Auch der Jurist Mathias Rohe vom Erlanger "Zentrum für Islam und Recht in Europa" plädierte laut der "Welt" dafür, den Islam in Deutschland stärker als Chance denn als Problem zu sehen und mehr Offenheit zu zeigen. Religion sei prinzipiell eine positive gesellschaftliche Ressource. "Dieses Land braucht kulturelle Vielfalt", so Rohe. Doch das Recht selbst sei nicht multikulturell. Grundsätzlich gelte, dass der Rechtsstaat, religiös offen und säkular, heute "gut aufgestellt" sei. Es müsse den Menschen möglich sein, ihre Religiosität innerhalb des geltenden Rechts zu leben. Dabei müsse man einräumen, dass es unter den Muslimen in Deutschland sicher auch Extremisten gebe; das sei eine kleine, aber gefährliche Zahl.

Korn: Von der "Leitkultur" zur "Kulturdiktatur"

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, hat es in einem Interview mit der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" abgelehnt, von den "christlich-jüdischen Wurzeln des Abendlandes" zu sprechen. Damit binde man Juden "in eine gemeinsame Front gegen die Muslime" mit ein, so Korn. "Manche Umarmungen, die wir derzeit von einem Teil der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft erfahren, sind mit Vorsicht zu genießen. Solche Gesten könnten auch funktionalistisch motiviert sein." Es sei schwer, in der Geschichte der Juden in Deutschland wirklich "christlich-jüdische Wurzeln" zu finden, stattdessen sähe man "Verfolgungen, Ausgrenzungen und Massenmord" gegenüber Juden. Korn fügt jedoch hinzu: "Es gibt natürlich jüdische Wurzeln in diesem Land, vor allem in der Religion, beispielsweise im – aus christlicher Sicht – Alten und Neuen Testament.

Der Begriff "Leitkultur" sei zudem "irreführend": "Kultur ist per se ubiquitär und, wenn sie befruchtend und lebendig bleiben soll, immer auf Austausch mit anderen Kulturen angewiesen." Der 67-jährige Architekt und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main fügte hinzu: "Kulturen, die keine Einflüsse mehr von außen zulassen, erstarren."  Beispiele dafür seien das "Dritte Reich", die Sowjetunion und die DDR. "Kultur muss, um sich entwickeln und erneuern zu können, offen und veränderbar bleiben. Von ‚Leitkultur‘ zur ‚Kulturdiktatur‘ ist es daher nur ein kleiner Schritt."

"Das Kopftuch ist die Flagge des Islamismus"

Die Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer indes hat in einer Vorlesung im Rahmen ihrer Gastprofessur der Stiftung Mercator an der Universität Duisburg-Essen vor der weltweiten Gefahr eines wachsenden Islamismus gewarnt. "Islamisten gehe es um Macht und nicht um den Glauben", sagte Schwarzer laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Der Islamismus sei "das neue Sammelbecken der selbstgerechten Weltverbesserer".

Gleichzeitig rief auch sie zu einer differenzierten Sichtweise auf: "Der Islam ist der Glaube und der Islamismus die Politisierung dieser Religion." Das Kopftuch sei die "Flagge der Islamisten", so Schwarzer. Es sei "körperlich einengend und sozial ausgrenzend". Allerdings würden durch die Medien auch falsche Klischees verbreitet. Sieben von zehn muslimischen Frauen hätten noch nie ein Kopftuch getragen. Mehr als 80 Prozent der rund vier Millionen Muslime in Deutschland seien nicht in den Verbänden organisiert, die öffentlich als ihre Sprecher aufträten, sagte Schwarzer.

"Justiz und Medien haben einen großen Nachholbedarf", meinte die Frauenrechtlerin mit Blick auf die Wahrnehmung von Islam und Islamismus. So hätten etwa auch Gerichte zur Diskriminierung von islamischen Mädchen beigetragen, indem sie eine Befreiung vom Schwimmen in der Schule, von Sexualkunde oder Klassenfahrten genehmigt hätten. Hier sei eine langsame Veränderung zu beobachten, meinte Schwarzer. "Was Sie für Ihre Frau, Ihre Schwester, Ihre Mutter wichtig finden, das sollte auch einer Muslima zustehen", appellierte die Frauenrechtlerin. (pro)

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