Religion ist ein Dauerthema auf Filmfestivals. Das sagt die Tagesspiegel-Kritikerin Christiane Peitz auf dem Festival in Venedig. Jesus gibt es hier im Kino mit Virtual-Reality-Brille zu sehen, während der Papst eine eigene TV-Serie bekommt und ein chilenischer Film erfolgreich dem Glauben nachspürt.
Von PRO
Foto: Jirafa
Im chilenischen Wettbewerbsbeitrag „The Blind Christ“ wandelt Protagonist Michael auf den Spuren Jesu
Eigentlich ist das Filmfestival von Venedig im September als Startrampe für die Oscar-Kampagnen neuer amerikanischer Produktionen bekannt. Von hier aus treten die Hollywoodfilme normalerweise ihren Siegeszug an. Mit dem gefeierten Eröffnungsfilm „La La Land“, einem Musical mit Ryan Gosling und Emma Stone, gibt es auch wieder einen ernstzunehmenden Kandidaten. Beim Blick über das Festivalprogramm und die Berichterstattung der Filmjournalisten fällt dieses Jahr aber auf, wie viele Filme um das Thema Religion kreisen.
Die Kritikerin Christiane Peitz, Leiterin des Kulturressorts beim Tagesspiegel, sieht sogar den allgemeinen Trend auf Filmfestivals, dass Religion ein Dauerthema geworden sei. In ihren Augen fängt damit das Kino die derzeitige Angst, Unruhe und den wachsenden Fundamentalismus in der Gesellschaft ein. Wobei sie differenziert zwischen Glaube als Hoffnungsträger sowie der Religion, die diese Hoffnung ausbeuten kann.
Viel Aufsehen erregt am Lido beispielsweise die amerikanische TV-Serie „Der junge Papst“, deren erste beiden Episoden auf der Leinwand gezeigt wurden. Darin spielt der Brite Jude Law („Der talentierte Mr. Ripley“) den fiktiven Papst Pius XIII. Die Widersprüche des Klerus sind es, die dabei den italienischen Regisseur Paolo Sorrentino („Ewige Jugend“, „Die große Schönheit“) interessieren. Dieser Papst wird ambivalent und widersprüchlich dargestellt: Zwischen Machtmensch und einem, der die verkrusteten Machtstrukturen im Vatikan aufbrechen will. Die Presse ist sich einig, dass die ersten beiden Episoden Lust auf mehr gemacht haben. „Der junge Papst“ war bereits weltweit in alle wichtigen TV-Märkte verkauft, bevor das Festival überhaupt losging.
Geheimfavorit für Goldenen Löwen: „Der blinde Christus“
Dem chilenischen Film „The Blind Christ“ werden im Wettbewerb um den Goldenen Löwen sogar Außenseiterchancen auf den Sieg eingeräumt. Das Regiedebüt des Chilenen Christopher Murray erzählt von dem Dorfjungen Michael (Michael Silva) aus der nördlichen Region Papa del Tamarugal. Der Junge hat eine Gotteserscheinung. Wie Jesus am Kreuz lässt er sich deshalb Nägel durch die Hände schlagen, wofür ihn die anderen Dorfkinder verspotten. Als er davon hört, dass ein Freund im Bergwerk schwer verletzt wurde, wandert er barfuß durch die Wüste, um ein Wunder zu bewirken und seinen Freund zu retten.
Für die Tagesspiegel-Kritikerin Peitz war der Film eine der positivsten Überraschungen des Festivals. Hier sei der Ursprung des Glaubens aus dem sozialen Elend zu begreifen. Auch die Filmdienst-Kritikerin Felicitas Kleiner sah ein „sehenswertes Drama um Glaubensbedürfnisse und unheilige gesellschaftliche Zustände“. Der chilenischen Wüstenlandschaft weist sie auch eine „biblische Funktion als Ort der Gottessuche und Gottesbegegnung“ zu.
Zusammenstöße an der Krippe Jesu
Ein anderes Thema auf dem Festival waren Filme, die mit Virtual-Reality-Brillen zu sehen sind. Vier Tage lang konnten Filmjournalisten den neuen Jesus-Film, der extra für diese neue Technik hergestellt wurde, in einem dafür hergerichteten Raum testen. Dem amerikanischen Branchenblatt Hollywood Reporter zufolge seien die ersten Reaktionen der Zuschauer auf „Jesus VR – The Story of Christ“ allerdings verhalten ausgefallen.
Im Vorführraum mit 30 Sesseln, die sich um 360 Grad drehen lassen, soll das Gefühl kreiert werden, „live“ bei Geburt und Kreuzigung Jesu anwesend zu sein. Die langen Schlangen um den Block bezeugten die hohe Nachfrage. Interessanterweise diskutierten die Besucher anschließend laut Hollywood Reporter aber weniger über die Frage, ob es solch eine Filmerfahrung überhaupt braucht oder wie auf diese Weise Szenen emotional ergänzt werden könnten.
Vielmehr waren technische Störungen das Hauptthema: Es habe Probleme mit der Ton- und Bildqualität gegeben, Kopfhörer hätten teilweise gar nicht funktioniert. Kurzerhand mussten italienischer Übersetzer herbeigeschafft werden, weil der Film nur auf Englisch gezeigt wurde. Da die Sessel so nah beieinander standen, seien die Zuschauer häufig gegeneinander gestoßen. Ob dieser 90-minütige Film eine technische Revolution auslösen wird, wenn er zu Weihnachten in die US-Kinos kommt, bleibt abzuwarten. (pro)
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