Reformationsjubiläum: Annäherung zwischen Israel und der Kirche?
Israels Botschafter in Deutschland, Yaakov Hadas-Handelsman, hat einen transparenten Umgang mit dem Antijudaismus des Reformators Martin Luther gefordert. Der Diplomat sprach am Sonntag in Wittenberg auf einer zweitägigen Konferenz zum Thema „Reformation und Israel – gestern, heute, morgen“.
Von PRO
Foto: pro/Nowak
Botschafter Hadas-Handelsman und Ministerpräsident Haseloff waren die Schirmherren der Tagung „Israel und Reformation“
Botschafter Yaakov Hadas-Handelsman wünscht sich angesichts des Reformationsjubiläums, dass sich Israel, das jüdische Volk und die Evangelische Kirche näherkommen. Ohne Zweifel gebe es eine Annäherung zwischen der Evangelischen Kirche und Israel. „Aber wichtig ist doch, ob die Botschaft von Verständigung und Verantwortung alle Ebenen der Kirche durchdringt, ob sie bei den Mitgliedern in Gemeinden ankommt und ob sie dort auf fruchtbaren Boden fällt und gedeihen kann. Es geht auch heute nicht nur um Erkenntnisse, sondern vor allem um konkretes Handeln“, betonte Hadas-Handelsman. Er äußerte die Hoffnung auf einen ehrlichen Austausch bei der Tagung sowie auf weitere Annäherungen zwischen dem Staat Israel, dem jüdischen Volk und der Evangelischen Kirche.
Hadas-Handelsman hatte zusammen mit dem Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), die Schirmherrschaft über die Tagung, die am Montag zu Ende ging. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand Martin Luthers Blick auf das Heilige Land und die Frage nach dem Verhältnis von Reformation und Israel.
Christliche und jüdische Referenten aus Deutschland und Israel sprachen unter anderem über die Bedeutung der Reformation für die Entwicklung des Reformjudentums, die Reaktionen der Evangelischen Kirche auf die israelische Staatsgründung und über die künftige Gestaltung der protestantisch-israelischen Beziehungen. Rund 130 Teilnehmer waren zu der Konferenz in die Stiftung Leucorea in der Lutherstadt Wittenberg gekommen.
Transparent mit Luthers Antijudaismus umgehen
Israels Botschafter ging in seinem Grußwort auf die diplomatischen Beziehung zwischen Deutschland und Israel, aber auch auf das Reformationsjubiläum 2017 ein. „Ich bin überzeugt, dass wir darin übereinstimmen, dass ein transparenter Umgang mit Luthers Antijudaismus und seinen explizit judenfeindlichen Aussagen, auf die sich schließlich auch die Nazis beriefen, unerlässlich ist“, sagte er. Dies gelte ebenfalls für das Versagen der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. In der Beschäftigung mit der Erinnerung und dem Gedenken lägen auch Chancen, sagte der Botschafter. „Es geschieht, dass sich Juden und Christen beim Blick auf die Schrecken der Vergangenheit näherkommen.“
Trotz aller Erfolge stünden Deutschland und Israel vor immer neuen Herausforderungen. Eine davon sei der Antisemitismus. Dieser sei nicht nur für Juden ein Problem, sondern auch für die Staaten, in denen er auftrete. „Alle Akteure sind gefordert, die demokratischen und menschlichen Werte zu verteidigen – staatliche Institutionen und die Kirche.“ Wer sich gegen Antisemitismus stelle, erweise nicht etwa den davon Betroffenen einen Gefallen, sondern handle vielmehr in eigenem Interesse. „Denn es kann jederzeit eine andere Minderheit oder Gruppe treffen“, sagte der Botschafter.
„Direkte Begegnung wichtiger als Theorie“
Ministerpräsident Haseloff erklärte in seiner Ansprache: „Kein theoretischer Dialog vermag die direkten Begegnungen zu ersetzen. Gerade junge Menschen müssen lernen und begreifen, warum die deutsch-israelischen Beziehungen immer ganz besondere sein werden.“ Deutschland und Israel verbinde heute jedoch mehr als die schmerzvolle Geschichte. Beide Staaten stünden für gleiche Werte ein wie Demokratie und Menschenrechte. Seine Rede schloss der Ministerpräsident mit einem Segenswunsch aus Psalm 128: „Und (du) siehst Kinder Deiner Kinder. Friede sei über Israel.“
Annäherung zwischen Kirche und Israel
Pfarrer Stefan Meißner gab in seinem Vortrag Einblicke in Martin Luthers Haltung gegenüber Juden. Der Reformator habe zunächst versucht, Juden mithilfe alttestamentarischer Texte von der Messianität Jesu zu überzeugen und für den christlichen Glauben zu gewinnen. Anfangs habe er anders als einige seiner Zeitgenossen noch von einer gewaltvollen Bekehrung der Juden abgeraten und die Bekehrung durch Worte empfohlen. Nachdem seine „wohl naiven Hoffnungen auf eine Bekehrung“ enttäuscht wurden, habe sich der Ton gewandelt. Das gipfele in dem Pamphlet „Von den Juden und ihren Lügen“. Darin empfahl Luther zunächst eine „scharfe Gerechtigkeit“ gegenüber den Juden, sollte diese nicht fruchten, so bleibe nur ihre Vertreibung aus deutschen Landen.Bei früheren Schriften lasse sich noch darüber streiten, ob Luther das Elend der Juden in der Verbannung nur beschreibe. Bei „Von den Juden und ihren Lügen“ gebe es jedoch keinen Zweifel mehr daran, dass sich der Reformator selbst als Instrument angesehen habe, durch das der göttliche Zorn gegen die Juden manifestiert werde, sagte Meißner.
Während Luther Spott ausgeschüttet habe über das in Scherben liegende Judentum, die Zerstörung des Tempels, die Vertreibung des jüdischen Volkes, habe Jesus über das zerstörte Jerusalem geweint. Meißner fragt: „Folgen wir Protestanten heute in dieser Frage eher Luther oder Jesus? Folgen wir den Parolen derer, die im Zionismus nur eine Spielart des Rassismus sehen, dessen baldiges Ende sie heraufbeschwören, oder erkennen wir in der Rückkehr von Jüdinnen und Juden in das Land ihrer Eltern vielleicht doch so etwas wie ein Zeichen der Treue Gottes? Stimmen wir bei Fehlentwicklungen in Israel in das schon Mode gewordene Israel-Bashing mit ein oder üben wir konstruktive Kritik unter Brüdern und Schwestern?“
Reformation und Reformjudentum
George Y. Kohler von der Bar Ilan-Universität in Tel Aviv sprach über die „Reformation als Verheißung für das Reformjudentum“. Bemerkenswert sei, dass sich diese Bewegung gerade in Deutschland entwickelt habe, Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie sei als Protest nach einem Massenabfall vom Judentum entstanden, um Juden wieder zurückzugewinnen. Kohler zeigte Gemeinsamkeiten zwischen der Reformation im Christentum und dem Reformjudentum auf. Beide forderten eine Rückkehr zum Text der Bibel, das Gebet in der Muttersprache, die aktive Einbeziehung der Frau und die zentrale Stellung der Predigt im Gottesdienst. Im Gegensatz zu Deutschland sei in Israel heute von einer Ökumene jedoch nichts zu spüren. Lediglich in den USA gebe es Ansätze für eine Zusammenarbeit und einen Dialog der jüdischen Strömungen.
Die Veranstaltung fand im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums statt, das im Jahr 2017 in ganz Deutschland gefeiert wird. (pro)
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