„Reden, auch wenn es der Political Correctness widerspricht“

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat nach den Attentaten in Norwegen einen offenen Diskurs über den Islam gefordert. Außerdem plädierte er für eine Aufhebung der Anonymität im Netz – und brachte damit nicht nur Web-Aktivisten gegen sich auf.

Von PRO

Abwehrreflexe gegen das Fremde müssten durch Prävention und Aufklärung in einen "rationalen Diskussionsprozess" überführt werden, sagte Friedrich dem "Spiegel". Zwar sei Deutschland weltoffen, die Sarrazin-Debatte habe aber gezeigt, dass es zum Thema Islam eine Stimmung und einen Gesprächsbedarf gebe. "Über solche Themen, wie sie in der Sarrazin-Debatte diskutiert wurden, müssen wir reden, auch wenn das der Political Correctness widersprechen mag", sagte Friedrich. Weiter erklärte er zu den Motiven des Attentäters Breivik: "Jemand, der Leib und Leben und die Würde des Menschen missachtet, kann sich nicht aufs Christentum berufen."

Vielmehr warnte Friedrich vor Radikalisierungsgefahren, die durch das Internet entstünden: Es gebe immer mehr Menschen, die sich von ihrer sozialen Umgebung isolierten und "alleine in eine Welt im Netz eintauchen". Zwar liege ein weiter Weg zwischen "den kruden politischen Thesen, wie sie mancher islamfeindliche Blog im Internet verbreitet, und einem Massenmord, wie Breivik ihn begangen hat". Dennoch stelle das Netz die Gesellschaft vor neue Herausforderungen: "Ich weiß, dass mir das in der Netzgemeinde wüste Beschimpfungen einbringen wird, aber warum müssen Fjordman und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren?", fragte Friedrich. Fjordman ist das Synonym eines Bloggers, den Breivik in zitiert. Friedrich fragte weiter: Normalerweise stünden Menschen mit ihrem Namen für etwas ein, warum nicht auch im Internet?

Kritik: "Hilflos und unglaublich naiv"

Die von Friedrich erwartete Kritik kam prompt: Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern, sei Voraussetzung für echte Meinungsfreiheit, erklärte die Piratenpartei Medienberichten zufolge. "Herr Friedrich greift hier einen der Grundpfeiler unserer Demokratie an", sagte der Parteivorsitzende Sebastian Nerz. "Meinungsfreiheit bedeutet, seine Meinung ohne Angst vor Konsequenzen frei sagen zu können. In letzter Instanz ist dies nur anonym möglich." Der Anwalt und Blogger Udo Vetter erklärte in einem Blog des ZDF, Anonymität im Netz sei auch ein "Schutz gegen die Tyrannei der Mehrheit". Jede staatliche Maßnahme gegen Blogger gefährde das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Zudem sei eine Klarnamenpflicht praktisch nur durchsetzbar, wenn das Internet nach den Vorbildern China, Nordkorea und Iran ausgerichtet, also überwacht werde.

Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz nannte die Überlegungen Friedrichs einen "Ausdruck von Hilflosigkeit" und "unglaublich naiv". Das internationale Netz entwickle sich weltweit naturwüchsig und richte sich nicht nach der Meinung des deutschen Innenministers oder anderer wohlgesinnter Zeitgenossen, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Es sei "unglaublich naiv", wenn Friedrich glaube, die Probleme mit dem Extremismus auf diese Weise in den Griff zu bekommen. Burkhardt Müller-Sönksen, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte der "Berliner Morgenpost", Friedrichs Forderung sei illusorisch: "Kommentare und Blogs sind im weltweiten Netz nicht kontrollierbar. Jeder kann sich eine E-Mail unter falschem Namen zulegen. Wie will Herr Friedrich das bitte überprüfen?" Für die Umsetzung fehle es allein schon an Personal: "Sie können nicht Millionen Einträge mit einer handvoll Mitarbeiter überwachen." Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, kritisierte: "Herr Friedrich kann nicht einmal in Deutschland für einen angemessenen Datenschutz sorgen, und jetzt will er global die Anonymität im Internet abschaffen. Das ist schlichtweg nicht möglich."

Zuspruch bekam Friedrich aus den eigenen Reihen. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Hans-Peter Uhl, teilte am Montag mit: "Erst durch die Anonymität ist die Verbreitung von Kinderpornografie oder extremistischem Gedankengut in einem nie gekannten Ausmaß möglich." Die Forderung des Bundesinnenministers habe nichts mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit zu tun. Der "sofortige und unreflektierte" Widerspruch der sogenannten Netzgemeinde zeige nur, dass hier eine längst überfällige Diskussion angestoßen worden sei.

Derweil hat das Bundesministerium des Innern auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärt, es gebe keine Pläne, gegen die Anonymität im Internet vorzugehen. Die Aussagen Friedrichs im "Spiegel" seien so nicht zu interpretieren. Friedrich habe sich lediglich für eine demokratische Streitkultur im Netz ausgesprochen. Er sei nach wie vor der Ansicht, dass es auch im Internet durchaus Bereiche gebe, in denen Anonymität sinnvoll sei. Es gehe nicht um eine gesetzliche Pflicht, sich im Netz überall auszuweisen zu müssen. (pro)

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