Rechtsexperte sieht Kruzifix-Urteil kritisch

Mit seinem Urteil gegen das Aufhängen von Kruzifixen in staatlichen Schulen Italiens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Rolle überschätzt. Diese Meinung vertritt der Professor für Öffentliches Recht an der Uni Münster, Christian Walter, in einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Donnerstag.
Von PRO

Am 3. November hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) in Straßburg entschieden, dass das Anbringen von Kreuzen in Klassenzimmern staatlicher Schulen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Durch das Aufhängen der Kreuze werde die Religionsfreiheit verletzt, so das Gericht. Geklagt hatte eine Italienerin. Die italienische Regierung müsse der Klägerin zudem eine Entschädigung von 5.000 Euro für moralische Schäden zahlen. Das Gericht forderte allerdings nicht die Entfernung sämtlicher Kruzifixe.

Kritiker des Urteils, darunter der Vatikan, äußerten, das Kreuz sei ein elementares Zeichen für die Bedeutung der religiösen Werte in der europäischen Geschichte und Kultur. Der CSU-Politiker und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, Manfred Weber, sagte, die Werteordnung der Europäischen Menschenrechtskonvention selbst basiere auf dem christlichen Menschenbild.

Walter, der Universitätsprofessor für Öffentliches Recht einschließlich Völker- und Europarecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist, zog am Donnerstag in der F.A.Z. Vergleiche mit dem "Kruzifix-Urteil" aus dem Jahr 1995. Damals entschieden die Richter des Bundesverfassungsgerichts, dass die staatlich angeordnete Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen gegen die Religionsfreiheit verstoße. "Damals wie heute hat man es mit einem geradezu apodiktischen (keinen Widerspruch duldend, Anm. d. Red.) Ton der Entscheidungsgründe zu tun", kritisiert Walter. Er prangert an, dass es für die Richter keine "Alternativen zum flächendeckenden Abhängen der Kreuze und Kruzifixe in Schulen" zu geben scheine. In beiden Fällen ähnlich sei zudem die Reaktion auf das Urteil: eine "breite öffentliche Empörung" und sogar Ankündigungen, das neue Gesetz zu missachten.

"Europa ist religiös und kulturell vielfältig"

Der Jurist ist überzeugt: "Der Gerichtshof überschätzt seine Rolle im religiös und kulturell vielfältigen Europa der 47 Vertragsstaaten des Europarates und setzt sich dabei auch über seine eigene Rechtsprechung zum Einschätzungsspielraum der Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention hinweg." Symbole seien nun einmal mehrdeutig, und deshalb sowohl kontext- wie betrachterabhängig. "Natürlich ist das Kreuz (und zumal das Kruzifix) zumindest auch ein christliches Symbol. (…) Die Beschwerdeführerin durfte sich also in der Tat in ihrer Religionsfreiheit (…) beeinträchtigt fühlen." Doch Walter fragt zugleich: "Was aber sind die Konsequenzen?" Er kritisiert: "Man muss es als einen echten handwerklichen Fehler der Kruzifix-Entscheidung ansehen, dass [der Gerichtshof] dort kein Wort zum Einschätzungsspielraum verliert, obwohl die italienische Regierung auf die kulturell-historische Dimension des Verfahrens hingewiesen und die sehr unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Vertragsstaaten der Menschenrechtskonvention vorgetragen hatte."

Der "laizistische Tonfall" der Kruzifix-Entscheidung werfe die Frage auf, inwiefern eine Staatskirche überhaupt noch mit der Konvention vereinbar sei. Die italienische Regierung habe nun noch drei Monate Zeit, den Fall vor die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofes zu bringen. Diese "sollte die die Chance nutzen", so Walter: "Europa ist religiös vielfältig, seine Staat-Religion-Beziehungen sind vielgestaltig, und die jeweiligen bildungs-, religions- und integrationspolitischen Anliegen sind vielschichtig. Das sollte auch in Zukunft so bleiben." (pro)

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