Recherche: Freikirchen ohne Dachverband sind eher Corona-Hotspot als andere Gemeinden

Die Tageszeitung Die Welt geht der Frage nach, warum auch christliche Gemeinden als ein Ausgangspunkt für die Weitergabe des Coronavirus gelten. Wenn es zu Ausbrüchen kam, dann meist bei freikirchlichen Gemeinden, die keinem Dachverband angehören, ergab die Spurensuche.
Von Norbert Schäfer
In Freikirchen sind die Verbindlichkeit des Gottesdienstbesuches und der Gemeindezugehörigkeit besonders ausgeprägt

Ein Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“ vom Montag erörtert die Frage, warum auch christliche Gemeinden als ein Ausgangspunkt für die Verbreitung des Coronavirus gelten. Dem Bericht zufolge stellen „Gottesdienste der evangelischen und katholischen Kirche keine Infektionsherde“ dar. Freikirchen hätten sich jedoch mehrmals als Hotspots erwiesen, heißt es.

Als Freikirchen sind dem Artikel zufolge solche religiösen Gemeinschaften anzusehen, die sich „nicht aus Steuern, sondern freiwilligen Spenden“ finanzieren. Sie unterschieden sich sowohl in ihrer Ausprägung als „auch in der Einstellung zu den Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie“. Die meisten seien in Dachverbänden organisiert. Allerdings, schreibt Autorin Claudia Becker, „handelt es sich bei den Gemeinden, in denen es zu Ausbrüchen des Virus kommt, vornehmlich um solche, die nicht in einem Dachverband organisiert sind und ihre eigenen Hygieneregeln aufstellen“. Becker führt als Beispiel eine „freikirchliche Christengemeinschaft“ in Niedersachsen an, auf die das zuständige Gesundheitsamt mehr als 50 bekannte Covid-19-Infektionen und dadurch bedingt Quarantäne an Schulen und Kitas zurückführe. Im Rhein-Main-Gebiet sei es bei einer Betstunde der freikirchlichen „‚Evangeliumschristen‘, deren Gemeinde sich vor allem aus Russlanddeutschen zusammensetzt“, zu zahlreichen Infektionen gekommen.

„Höhere Verbindlichkeit des Gottesdienstbesuches“ in Freikirchen

Für mögliche Erklärungen dafür, dass es in freikirchlichen Gemeinden zu Infektionswellen gekommen ist, hat die Autorin Martin Fritz gefragt, den Theologischen Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW). Er sieht in der „typischerweise höheren Verbindlichkeit des Gottesdienstbesuches und der Gemeindezugehörigkeit wesentliche Gründe“. Zudem verfügten die freikirchlichen Gemeinden nicht über vergleichbar große Räume wie die Landeskirchen, hätten aber mehr regelmäßige Gottesdienstbesucher, denen ein Singverbot aufgrund ihrer „gefühlsbetonten Frömmigkeit“ besonders schwer falle. Als weiteren möglichen Grund nannte Fritz den Migrationshintergrund in einigen dieser Gemeinden und die damit verbundene kulturelle Prägung. „Das ist eine ganz andere Geselligkeitskultur als in einer bürgerlichen deutschen evangelischen Normalgemeinde, in der man nach dem Gottesdienst nach Hause geht“, erklärte Fritz gegenüber der Welt.

Auch „eine ablehnende Haltung gegen eine übergeordnete Institution und Autorität“ und eine „extremere Form der Frömmigkeit“ könne eine Rolle spielen, meint Fritz, ohne dass er das auf eine der betroffenen Freikirchen beziehen mochte. In „bestimmten pfingstlichen und evangelikalen Kreisen“ wie auch in orthodoxen Konfessionen sieht Fritz zudem „ein Gottvertrauen nach dem Motto: ‚Wenn ich krank werde, ist es Gottes Wille‘“, sowie „Misstrauen gegenüber der Gesellschaft und ihren Medien“. Das befördere „Abschottungstendenzen“ und mache anfällig gegenüber Verschwörungsmythen. Dies seien aber Randerscheinungen im freikirchlichen Spektrum.

Bislang keine Corona-Cluster in den Kirchen

In einem täglichen Lagebericht zu Covid-19 zum vergangenen Wochenende schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI), dass „Fallhäufungen“ zu Covid-19-Ausbrüchen „insbesondere beobachtet“ würden im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis, Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, Gemeinschaftseinrichtungen „und im Rahmen religiöser Veranstaltungen“ sowie in Verbindung mit Reiserückkehrern.

Auf Anfrage teilte das RKI am Montag mit, dass in den Meldedaten nur bestimmte „Settings“ erfasst würden. Für religiöse Veranstaltungen gebe es keine Kategorie, „geschweige denn Spezifizierungen nach Konfession oder Religion“. Die Gesundheitsämter könnten jedoch weitere Informationen in einem Freifeld ergänzen, beispielsweise, wenn es sich um einen Ausbruch in einem solchen Setting handele – daher liegen diese Informationen auch vor.

Dass es sich bei bestimmten freikirchlichen Gemeinden um Corona-Hotspots handle, sei nicht aus einer Datenbank hervorgegangen, erklärte Becker. Grundlage für die Informationen seien Recherchen über Berichte von Gemeinden, in denen das Virus ausgebrochen sei, und über die sie mit Fritz gesprochen habe. Becker ist eigenen Angaben zufolge „kein Fall bekannt, dass es in einem Gottesdienst der großen Konfessionen zu einem Corona-Cluster gekommen ist“.

Von: Norbert Schäfer

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