Radikal wie Jesus

Wie radikal ist die christliche Botschaft? Um diese Frage ging es bei einer Diskussionsrunde in Leipzig. Klar war: Jesus muss der Maßstab sein. Offen blieb, welche Rolle Regeln spielen.
Von PRO
Wie radikal ist das Christentum und ist Wahrheit wichtiger als Barmherzigkeit? Fragen bei der Podiumsdiskussion „Mission unter richtiger Flagge“. Reinhard Steinbruch, Jens Wätjen, Moderatorin Maja Gille, Frank Martin, Frank Heinrich (v.l.)
An der Frage, inwiefern auch Regeln zur christlichen Botschaft gehören, entzündete sich die Diskussion, die das Deutsche Christliche Fernsehen unter dem Titel „Mission unter richtiger Flagge“ am Freitag veranstaltete. Sie nahm Bezug auf den NDR-Beitrag „Mission unter falscher Flagge – Radikale Christen in Deutschland“. In dem wurde charismatisch geprägten evangelikalen Gruppen unter anderem geistlicher und Machtmissbrauch vorgeworfen. Auch würden sie bestimmte Lebensstile verurteilen und Homosexualität ablehnen. Wenn Christen als radikal bezeichnet werden, sei dies oft ein „Generalvorwurf“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Heilsarmee-Pastor Frank Heinrich. „Kompromisslos“ sei für ihn jedoch ein treffenderer Begriff. Er mache deutlich, dass jemand das lebt, was er glaubt. Die eigene Überzeugung „auf andere anzuwenden, könnte radikal sein“, sagte Heinrich. So lange jemand seinen Glauben für sich selbst kompromisslos lebe, sei dies kein Problem. Das werde es aber dann, wenn „Regeln nach außen gemacht werden“. Dies geschehe „oft aus Schwäche, um sich im eigenen Glauben sicher zu fühlen“, sagte er. Die Botschaft von Jesus sei in erster Linie Barmherzigkeit. Das werde schon daran deutlich, dass Jesus überhaupt auf die Erde gekommen ist. Er habe Liebe gepredigt und Demut gelebt. Wenn man einzelne Aussagen der Bibel herausgreife, „kann das ein Schwert sein, das andere vernichtet“, sagte Heinrich. Vielmehr müssten Christen „den Geist des Gesetzes anschauen, das ist der Geist von Jesus“. Darüber, wie Christen mit dieser Haltung leben und durch ihren Glauben gestärkt werden, wünsche er sich auch in den Medien mehr Berichte. Die Problematik des geistlichen Missbrauchs in Gemeinden habe der NDR-Film überhöht. Denn auch in anderen gesellschaftlichen und pädagogischen Bereichen komme dies vor.

„Die Kirche lebt an ihrer Berufung vorbei“

Auch der evangelische Leipziger Studentenpfarrer Frank Martin konstatierte, dass geistlicher Missbrauch überall auftreten könne. Charismatische Gemeinden seien aber besonders anfällig dafür, „weil Emotionalität dort eine große Rolle spielt und Überzeugungen sehr normativ gesehen werden“. Christen müssten sich fragen, wie sie mit den Wahrheitsansprüchen der Bibel in Bezug auf andere Menschen umgehen. „Die Wahrheit Gottes ist kein verfügbarer Besitz.“ Zudem seien charismatische Gemeinden sehr fixiert auf Leitungspersonen. Jesus habe jedoch gesagt, dass nur er der Meister sei und alle Christen gleichwertige Geschwister. Herrschaftsstrukturen in christlichen Gemeinden widersprächen dieser Aussage. Allerdings wünschten sich viele Menschen „klare Vorgaben, um mit dem Leben klarzukommen“. Nicht nur psychisch labile Menschen könnten daher leicht in Abhängigkeiten von Menschen und Gruppen geraten. So gebe es junge Männer, die sich der Terrororganisation Islamischer Staat anschließen wollen – auch in Sachsen. Das Christentum schenke jedoch große Freiheit. Daraus ergebe sich die Frage: „Wie gehe ich mit dieser Freiheit um, wenn ich sie nicht bewältigen kann?“ Radikal sei die christliche Botschaft an sich. Denn Jesus habe mit seiner Lehre die Gesellschaft gesprengt, sagte der Theologe. Das Christentum hebe alle Unterschiede zwischen Menschen auf. Antifaschisten, Rechtsradikale, Prostituierte und andere Menschen vom Rand der Gesellschaft würden bei Jesus mit am Tisch sitzen. „Die Kirche in Deutschland lebt an ihrer Berufung vorbei“, sagte er, da diese vor allem den Mittelstand und das Bildungsbürgertum anspreche. „Das Christentum in Deutschland hat zivilreligiöse Aufgaben übernommen.“ Hingegen würden diejenigen, die bei Jesus in der ersten Reihe gestanden hätten, ganz hinten rangieren.

Gott bei den Charismatikern erleben

Jens Wätjen bezog für die Charismatiker Position. „Natürlich gibt die Bibel bestimmte Verhaltensweisen vor, zum Beispiel, dass wir vergeben sollen. Das Normative ist Teil des gesamten Christentums.“ Wätjen ist Pressesprecher des Gospel Forums, einer charismatischen Gemeinde in Stuttgart, die in dem Film des NDR auch kritisiert wurde. Bei 3.500 Gemeindemitgliedern und 4.000 Gottesdienstbesuchern sei es nicht auszuschließen, dass es auch zu Fällen von geistlichem Missbrauch kam, sagte er. Das Gospel Forum sei sehr daran interessiert, dies zu verfolgen. Doch alle Opfer, die im Film davon sprachen, seien anonym geblieben. Die Gemeinde kenne daher keine konkret Betroffenen. Christliche Gemeinden als solche sollten ein Schutzraum sein, in dem sich der persönliche Glaube entwickeln kann und wo Gott erlebbar ist, sagte Wätjen. „Das Ziel von Gemeinde ist, dass Glaube wächst. Alle Menschen sollten angenomen werden, weil Gott dies auch tue. Das gelte genauso für Homosexuelle. Wätjen betonte, dass die Stärke von charismatischen Gemeinden darin liege, zu vermitteln, wie der Glaube im Alltag umgesetzt werden kann. Dass diese dabei Gefühle stärker ansprechen, empfänden viele als befriedigend. „Die Menschen wollen Glauben erleben, nicht nur verkopft verstehen. Da ist ein Bedarf da.“ Die Diskussion wurde live ins lokale Fernsehen in Leipzig übertragen und ist in Kürze auch in der Mediathek des Deutschen Christlichen Fernsehens abrufbar. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/ndr-beitrag-war-notwendig-89730/
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/allianz-positioniert-sich-zu-ndr-film-89726/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/die-macht-der-sekten-90083/
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