„Radikal, sendungsbewusst, ideologisch“: Evangelikale im 3sat-Film

Für so manche Journalisten gelten evangelikale Christen immer mehr als Mitglieder einer Sekte. In Büchern, Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen versuchen die Autoren deutlich zu machen, wie "radikal und sendungsbewusst" die "evangelikale Ideologie" sei. Jüngstes Beispiel: Eine Kurz-Reportage des Senders 3sat, die am Dienstag in "Kulturzeit" lief.
Von PRO

Evangelikale – das seien Menschen, „die radikal und sendungsbewusst die Bibel zu ihrer Lebens- und Glaubensgrundlage erheben“, hieß es in dem Beitrag, den 3sat am Dienstagabend zeigte. Der Reporter Cornelius Janzen widmete sich darin etwa der Evangelisationsbewegung „ProChrist“, die vergangene Woche in Chemnitz stattfand, interviewte einen Homosexuellen, der von anonymen Anrufern beschimpft worden war und ließ Menschen zu Wort kommen, die evangelikalen Christen tatsächlich eine Gewaltbereitschaft unterstellen – jedenfalls dann, wenn es um deren angebliches Pochen auf der gepachteten Wahrheit gehe.

Wogegen Evangelikale angeblich sind

„Sie lehnen andere Religionen ab, sind gegen Abtreibung, Homosexualität und Sex vor der Ehe. Die Evolutionstheorie gilt für sie nicht, sie wenden sich gegen die ‚Übel dieser Zeit‘.“ Im Stakkato listen die Journalisten auf, was evangelikalen Glauben definiert, besser gesagt: wie sie evangelikalen Glauben definieren. Als „Anti-Positionierung“, als Glaubensüberzeugung, die sich einzig und allein gegen Menschen, gegen Andersgläubige, gegen andere Überzeugungen richtet. Wer so eine Gruppe von Menschen definiert, baut zwangsläufig ein Feind- und Drohbild auf, das abschreckt. Und der überwiegende Teil evangelikaler Christen, die etwa Mitglieder in Landeskirchen sind, die sich nicht abgrenzen, nicht abschotten, nicht gegen Menschen und deren Überzeugungen agieren, wird diese stakkato-negativ-Definition nicht teilen können. 

Nicht befürworten werden alle Christen auch das Vorgehen gegen den Homosexuellen Tom Haus, der nach seinem Outing, wie er berichtet, den „sozialen Tod“ erfahren musste. Und erst recht die anonymen „Morddrohungen per Telefon“ sind mit christlichem Glauben nie zu vereinbaren – wobei in dem Beitrag unterschwellig verbreitet wird, dass es sich bei den Anrufern um evangelikale Christen gehandelt habe. Dennoch: Dem Zuschauer soll offenbar klar gemacht werden: So sind sie, die evangelikalen Christen. „Statt froher Botschaft, eine Drohbotschaft“, heißt es denn auch im Beitrag.

„Offensiv und sendungsbewusst“ nennt es Reporter Janzen, wenn Evangelikale eigene Publikationen herausgeben. „Heilsversprechen gibt es nur für Bibeltreue“ meint er aus den Predigten von Pfarrer Ulrich Parzany, dem Redner von „ProChrist“, herauszuhören. Und meint sogar – ohne das auch nur ansatzweise zu begründen, ohne auch nur einen Hinweis auf Veranstaltungen wie die Kirchentage, wie professionelle Fernsehsendungen der Kirchen oder die gute Zusammenarbeit zwischen evangelikalen Organisationen und Landeskirchen zu bringen: „Mit ihrem öffentlichen Bekenntnis stehlen sie den Volkskirchen die Show.“ Natürlich, und Evangelikale hätten zudem „klare Feindbilder: Das Gute kämpft gegen das Böse“. Auch dieser Passus darf nicht fehlen.

„Den Schädel blutig hauen“

Der Theologe und Journalist Uwe Birnstein kann der Intention der Autoren nur zustimmen, die ein eindeutig negatives Bild von Christen zeichnen, die sich nicht auf Anti-Positionen reduzieren lassen können. Dennoch meint Birnstein, die Evangelikalen meinten, „die Wahrheit gepachtet“ zu haben, verlangten von allen anderen, sich „gefälligst“ anzupassen. „Mit dieser Einstellung kommt man nach der Erfahrung von 2000 Jahren Kirchengeschichte nicht weiter, sondern endet darin, dass man sich die Schädel blutig haut, mit Gott auf der Gürtelschnalle“, sagt Birnstein.

Wenn also in mehr als sieben Minuten Fernsehbeitrag ein derartiges Feind- und Drohbild von evangelikalen Christen gezeichnet wird, wenn 3sat auf seiner Internetseite als einziges Buch zum Thema jenes „Mission Gottesreich“ von zwei ARD-Journalisten empfiehlt, die in gleicher Intention gegen Evangelikale schreiben, wenn nicht eine positive Aktion oder Organisation erwähnt wird, in der sich evangelikale Christen für die Gesellschaft engagieren, wenn alle Überzeugungen der Evangelikalen zu einer Bedrohung für Andere stilisiert werden – dann bleibt Fernsehzuschauern nichts anderes übrig, als Evangelikale als Mitglieder einer Sekte zu sehen.

Positives? Einfach weglassen!

Natürlich haben auch die Evangelikalen ihre Licht- und Schattenseiten, natürlich gibt es die selbsternannten Glaubenswächter, die sich in allen Dingen über andere erheben wollen. Das wird niemand bestreiten. Doch sind sie alle so? Nein, eben nicht. Hinzu kommt: Bei allen Versuchen, Evangelikale pauschal negativ darzustellen, wird nur selten auf die Geschichte der evangelikalen Bewegung verwiesen, die von Christen geprägt wurde, die vor 200 Jahren noch Pietisten genannt wurden. Sie engagierten sich zahllos in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie waren Christen, die mit Luthers Reformation im Rücken Aufbrüche wagten, die die Welt revolutionierten.

Johann Heinrich Wichern etwa prägte die Innere Mission der Kirche, gab Kindern und Jugendlichen im „Rauhen Haus“ Geborgenheit, die sie sonst nirgends fanden. August Hermann Francke prägte die Schulstadt in Halle an der Saale, Bodelschwingh die Betheler Anstalten, Hudson Taylor bis hin zum „Heilsarmee“-Gründer William Booth trieben wie keine anderen die Evangelisation und Mission voran. All diese Menschen, deren Arbeit seit ihrer Gründung besteht, haben eines gemeinsam: Sie waren bibelgläubige Christen, deren Theologie heute als gemeingefährlich-fundamentalistisch gebrandmarkt würde. Und dennoch haben sie Spuren hinterlassen – „während ihre Kritiker längst unter den Wanderdünen des Zeitgeistes begraben sind“, wie es ein Fernsehjournalist einmal formulierte.

Warum aber in den Beiträgen nicht das Engagement von Christen in der Geschichte und Gegenwart genannt wird, bleibt schleierhaft. Und ist nur ein Beleg dafür, dass der alte Spruch über den Journalismus noch immer gilt: „Die Macht der Medien besteht im Weglassen.“ Doch mit dieser Macht übertreiben es manche offensichtlich immer dann, wenn es um die „evangelikalen Fundamentalisten“ geht. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Jürgen Werth, erklärte gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea: „Ein Journalist schreibt beim anderen ab. Doch dadurch werden die undifferenzierten und diffamierenden Behauptungen nicht wahrer. Sind das nicht die eigentlichen Fundamentalisten, die das vorurteilslose Gespräch verweigern? Längst ist klar: Man schlägt die Evangelikalen, aber meint die gesamte Christenheit.“

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