Publizist Fabian Wolffs Jüdischsein: Ein neuer „Fall Relotius“?

Der Publizist Fabian Wolff hat eine jüdische Identität vorgegeben. Die stimmte aber nicht, hat er selbst offenbart. Erlebt der Journalismus einen neuen „Fall Relotius“?
Von Norbert Schäfer
Zeitungen als Informationsquelle nutzt vor allem die ältere Generation

Der Journalist und Publizist Fabian Wolff hat Mitte Juli in einem Essay auf „Zeit Online“ unter dem Titel „Mein Leben als Sohn“ bekannt, seine Familiengeschichte erforscht und herausgefunden zu haben, dass die Großmutter mütterlicherseits evangelisch getauft worden sei. Damit gesteht Wolff ein, jahrelang eine falsche Identität gepflegt zu haben. Der Publizist hatte in Texten, Interviews und Mitteilungen in den Sozialen Medien immer wieder vorgegeben, mütterlicherseits aus einer jüdischen Familie abzustammen.

Wolff hatte neben der „Zeit“ auch bei der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Jüdischen Allgemeinen“ veröffentlicht. Er schrieb in dem Zeit-Essay, von der eigenen Mutter über seine Identität getäuscht worden zu sein. Kommentatoren des Bekenntnis-Essays in der „Zeit“ werteten den Beitrag als einen „Fall Relotius“ und zeigten sich „schockiert“ über die mangelnde „journalistische Sorgfaltspflicht in der Redaktion“.

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„Hochstapler“ und „Lügner“

In den Augen der Schriftstellerin Mirna Funk ist Wolff ein „Hochstapler“. „Er kannte weder Israel noch jüdisches Leben in Deutschland, sondern erzählte eine deutsche Entlastungsgeschichte aus einer jüdischen Sprecherposition heraus, um dafür geliebt zu werden“, schreibt Funk am Montag in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ).

In dem Beitrag berichtet Funk unter anderem darüber, wie eine ehemalige Freundin des Journalisten versucht hatte, den Schwindel aufzudecken und Funk dazu mit Informationen und Recherchen versorgt hatte.

„Ich informierte jene, die informiert werden mussten, und ich telefonierte mit Journalisten“, schreibt Funk in der FAZ, und weiter: „Wir entschieden, die Geschichte nicht publik zu machen.“ Als Grund führt Funk an, dass sich im Sommer 2019 eine Bloggerin das Leben genommen hatte, nachdem der „Spiegel“ offengelegt hatte, dass „ihre Geschichten über ihre angebliche jüdische Herkunft und die vielen im Holocaust ermordeten Verwandten die reine Erfindung waren“.

Wolff hatte, wie man jetzt weiß, mit der falschen Identität unter anderem im Frühjahr 2021 in einem Artikel in der „Zeit“ unter dem Titel „Nur in Deutschland“ mit der Boykottbewegung BDS kokettiert. BDS (Abkürzung für „Boycott, Divestment and Sanctions“) ist eine politische Kampagne, die das Ziel verfolgt, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren.

In dem Artikel hatte Wolff Kritik an der Kritik der BDS-Bewegung geübt und dabei vorgegeben, selbst jüdischer Herkunft zu sein. Seit Wolff sich jüngst offenbart hat, ist der genannte „Zeit“-Artikel mit dem Hinweis versehen, dass der Autor selbst „seine Familiengeschichte recherchiert“ habe. Die Nachforschungen hätten ergeben, „dass er nicht aus einer jüdischen Familie stammt“.

Philipp Peyman Engel, Chef vom Dienst bei der „Jüdischen Allgemeinen“, war zuvor – zwei Tage nach dem Bekenntnis-Essay – scharf mit dem Journalisten ins Gericht gegangen und nannte Wolff einen „Lügner, der sich jahrelang […] wider besseres Wissen als Jude ausgegeben“ habe und „obendrein jeden Nichtjuden, der nicht seine extrem anti-israelische Position teilte, zum Beispiel als ‚Kartoffel‘“ abgewertet habe.

Wolffsohn: „Nicht nachtreten, wenn jemand am Boden liegt“

„Fabian Wolff war vielen Redakteuren im linken politischen Milieu jahrelang ein dankbarer Stichwortgeber für ihre allzu oft einseitige Israel-Berichterstattung“, schrieb Engel am 18. Juli unter dem Titel „Der Kostümjude“, und weiter: „Er war der gebrauchte Jude. Der perfekte jüdische Kronzeuge.“ Der Artikel löste eine Debatte aus, in deren Folge die SZ Beiträge von Wolff aus dem Internet entfernte.

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn hatte nach Bekanntwerden der falschen Identität in einem Artikel in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) zwar erklärt, dass Wolff ein „Judenticket als Eintrittskarte für das linke und linksliberale juden- und israelkritische Milieu missbraucht“ habe, forderte aber dennoch Schonung für den Gescholtenen. „Man tritt nicht nach, wenn jemand am Boden liegt“, erklärte Wolffsohn und wies darauf hin, dass Wolff die Wahrheit immerhin selbst mitgeteilt habe.

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