Wer den Namen Wolfgang Huber hört, denkt an Lebensschutz. An Islamkritik. An den Kampf um Religionsunterricht in Berliner Schulen. An die SPD und vielleicht auch an sein Engagement in der Friedensbewegung und seine Auseinandersetzungen mit den Evangelikalen. Schon diese Zusammenstellung zeigt: Das Leben und Wirken Hubers ist nicht in wenige Sätze zu fassen. Den einen war und ist er zu konservativ, den anderen stand und steht er zu weit links.
Im Juni erschien die Biografie "Wolfgang Huber – Ein Leben für Protestantismus und Politik". Philipp Gessler, Kirchenredakteur der "Tageszeitung" (taz), hat sich darin dem Protestanten Huber genähert. Er beschreibt ihn als links und konservativ, kühl und herzlich, erfolgsbesessen und rational, als ein Arbeitstier und im als Glauben ruhender Christ. "Es ist nicht leicht, einen Vater zu haben, der ein Nazi war", beginnt Gessler sein Buch. Der Bonhoeffer-Verehrer Wolfgang Huber wurde 1942, inmitten der letzten Jahre des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland, geboren – und das machte nicht vor der eigenen Haustür halt. Vater Ernst Rudolf Huber, so stellt Gessler fest, war nicht "irgendein Nationalsozialist unter den 7,5 Millionen Mitgliedern der NSDAP". Einer der "führenden Verfassungsrechtler der braunen Diktatur" sei er gewesen. Wolfgang Huber erfuhr das erst im Alter von 14 Jahren, als er das Archiv des Vaters sortierte. Im Laufe seines Lebens wurde er zum Experten in Fragen um den ermordeten christlichen Widerständler Bonhoeffer – nicht umsonst: "Da versuchte er, das intellektuell aufzuarbeiten, was ihm im Rahmen der Familie bewusst geworden ist. Es ist ein dunkles Kapitel", beschreibt die Berliner Pröpstin Friederike von Kirchbach im Buch.
Huber beschritt, von den Eltern unliebsam beäugt, den Weg des Theologen, studierte, promovierte, absolvierte ein Vikariat und fand sein berufliches zuhause zunächst in der Wissenschaft. 1994 wurde der damalige Professor Bischof in Berlin und 2003 zudem Ratsvorsitzender der EKD, bevor er 2009 in den Ruhestand ging. Huber, bekannt als Friedensaktivist, sozial und politisch engagiert, ehemals aktives SPD-Mitglied, galt besonders in seiner Professoren-Zeit als führender Vertreter des Linksprotestantismus. Dennoch attestieren ihm viele ein sichtbares "Nachdunkeln", besonders im theologischen Sinne. Jüngst sagte Huber im Interview mit der "Welt": "Die persönliche Frömmigkeit, die Gottesbeziehung und die missionarische Weitergabe des Glaubens haben für mich heute dank meiner Erfahrung als Bischof ein anderes Gewicht als in früheren Jahren."
Heiße Debatten, verlorene Kämpfe, neue Freunde
Als Bischof war Huber einer der großen Kämpfer für ein ordentliches Fach Religion in Berlin. Gemeinsam mit Christen aller Konfessionen und dem Verein "Pro Reli" setzte er sich vor und während des Volksentscheides 2009 für dieses Anliegen ein – und scheiterte. Die Mehrheit der Abstimmenden, 51,4 Prozent, waren gegen die Einführung. Huber nannte das im Nachhinein "bitter".
Auch mit seiner Kritik am Islam machte der Theologe Schlagzeilen. Im Jahr 2006 veröffentlichte der Rat der EKD eine Handreichung mit dem Titel "Klarheit und gute Nachbarschaft". Huber schrieb das Vorwort dazu. In diesem geht es auch um die Anschläge des 11. September 2001. Glaubensüberzeugungen dürften nicht dazu führen, dass grundlegende Menschenrechte in Frage gestellt würden und es zu Einschüchterungen, Drohungen und Gewalt komme. Die Empörung innerhalb der Kirche und der islamischen Gruppierungen war groß. Die Schrift zeichne kein vorteilhaftes Bild dieser Religion, hieß es. Schon zuvor hatte sich Huber kritisch zum Thema Islam geäußert: In einem Gottesdienst zur deutschen Einheit erklärte er, das Kopftuch sei ein Signal, dass Frauen in Religion und Recht eine andere Stellung hätten als Männer. Daher sei es an staatlichen Schulen grundgesetzwidrig. Im Magazin "Focus" hob er 2004 den Unterschied zwischen dem christlichen und dem muslimischen Gott hervor.
Mutige Leitperson der protestantischen Kirche
Hubers Verhältnis zu den Evangelikalen war zeitweise schwierig. Noch 2001 warf er ihnen vor, fundamentalistische Antworten an die Stelle verstehenden Glaubens zu setzen. Doch schon 2003 betonte er in einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur "idea", die Kirche habe einen großen Bedarf an Bibelfrömmigkeit. Gessler stellt in seinem Buch fest: In Fragen der Homosexualität, der Mission und der Abtreibung verbindet ihn vieles mit den Evangelikalen. 2008 nahm er sogar am "Christival" teil und sprach sich dagegen aus, Evangelikale und Fundamentalisten gleichzusetzen. Dennoch ist Huber seiner Linie in diesen Jahren treu geblieben. Die Erschaffung der Welt in sieben Tagen oder missionarische Bestrebungen gegenüber Juden lehnt er strikt ab. Michael Diener, Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, lobt das Geburtstagskind auf Anfrage von pro mit den Worten: "Wolfgang Huber ist aus der Freiheit des Evangeliums und einer realistischen Weltsicht immer mehr zu einer mutigen und nobel-intelligenten Leitperson der protestantischen Kirche geworden: bereit zum geistlich-missionarischen Aufbruch und zum Brücken bauen – motivierend und kritikfähig."
Huber streitet auch für den Lebensschutz: Beim Streit um die Präimplantationsdiagnostik im Jahr 2011 setzte sich Huber vehement für ein Verbot ein. Schon 2007 hatte er sich gegen die Freigabe der Tötung auf Verlangen ausgesprochen und stattdessen das Instrument der Patientenverfügung befürwortet. 2008 schrieb er in einer Kolumne für die BZ: "Das menschliche Leben ist zu keinem Zeitpunkt verfügbar. Denn es gilt die biblische Einsicht: ‚Geboren werden hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit.’"
Fast ein Bundespräsident
Aus dem Ruhestand heraus wäre Huber fast noch Bundespräsident geworden. Als Christian Wulff zu Beginn des Jahres vom Amt zurücktat, war Huber kurz für seine Nachfolge im Gespräch. Ein anderer Theologe hat letztlich diesen Platz eingenommen. Doch auch nach seiner Pensionierung als Bischof und Ratsvorsitzender gilt Huber bis heute als Experte für Wirtschafts- und Lebensrechtsfragen. Auch unter hochrangigen Politikern genießt er nach wie vor hohes Ansehen: Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, gratuliert mit den Worten: "Gerade in Zeiten wie heute brauchen wir Menschen wie Wolfgang Huber. Als brillanter Theologe interpretiert er unseren evangelischen Glauben, als wortmächtiger Prediger gibt er Orientierung und lehrt Verantwortung, als mitfühlender Seelsorger spendet er Trost. Es tut uns gut, dass Wolfgang Huber sich einmischt, und ich wünsche mir, dass das so bleibt!" Sein Amtskollege Volker Kauder (CDU) teilt mit: "Wolfgang Huber ist mit seinem evangelischen Fundament und seinen wohl abgewogenen, aber klaren Aussagen zu den Fragen unserer Zeit ein Glücksfall für die evangelische Kirche." Und Rainer Brüderle, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, erklärt: "Wolfgang Huber ist mit einem scharfen Verstand und der Fähigkeit einer sehr einfühlsamen Vermittlung seiner Gedanken ausgestattet, gerade als Liberaler schätze ich außerdem seinen Einsatz für eine offene Diskussionskultur und seine klare Werteorientierung, mit der er die Evangelische Kirche in Deutschland nachhaltig geprägt hat." (pro)