Franziskus sorge dafür, dass Protestanten neuerdings neugierig zuhörten, wenn in Rom etwas verkündet werde. Sein Vorgänger Benedikt XVI. habe für viele eher die verbitterte katholische Kirche verkörpert. Viele Protestanten seien zudem gekränkt gewesen, als die Katholische Kirche im Jahr 2000 durch ein Schreiben der Glaubenskongregation der evangelischen Kirche das Kirchesein abgesprochen hatte.
Der neue Papst werde dagegen bejubelt und beklatscht. Leitlein fragt sogar, ob sich mit der bisherigen Amtszeit von Franziskus und vielen protestantischen Idealen, die er verkörpere, der Protestantismus nicht ganz einsparen könne. Franziskus biete den evangelischen Christen das, was sie sich von ihren eigenen Repräsentanten wünschten: egal ob beim Thema Flüchtlinge oder mit seiner Kapitalismuskritik.
Nichts mehr, wogegen man sich auflehnen kann
Für die Evangelischen sei dies deswegen problematisch, weil die evangelische Kirche auf dem Protest gegen den Katholizismus fuße. Ohne ein echtes Gegenüber sei dies nicht denkbar. Der Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard habe im Protestantismus ein Korrektiv gesehen. Dies werde dann schwierig, wenn Protestanten nichts mehr hätten, wogegen sie sich auflehnen können. Leitlein fordert von seinen Glaubensbrüdern wieder mehr Protestantismus und Unruhe.
Franziskus bleibe das Oberhaupt der Katholischen Kirche. Die „Priesterschaft aller Gläubigen“ sei auch mit ihm nicht zu machen, verdeutlicht Leitlein: „Anstatt sich auf einen Papst und seine Worte und Handlungen zu verlassen, ist die Solidarität aller gefragt.“ In der Flüchtlingsfrage bildeten sie Sprechchöre, statt auf eine Reaktion auf Rom zu warten: „Protestanten wissen um die Rechtfertigung aus Gnade allein.“ Statt eines Papstes hätten sie die Bibel, beruft sich Leitlein auf die Theologin Dorothee Sölle.
Papst sitzt an der Stelle Gottes
Wenn es sich die Evangelische Kirche gemütlich mache, werde sie überflüssig. Deswegen müsse sie sich ganz der reformatorischen Erkenntnis verschreiben, sich immer wieder selbst zu reformieren („Ecclesia semper reformanda“). Katholiken setzten den Papst auf einen heiligen Stuhl und damit an die Stelle Gottes, kritisiert Leitlein. Wenn Franziskus ein Papst der Protestanten ist, dann nicht als ihr Oberhaupt, sondern als ihr Gegenüber, bilanziert Leitlein. (pro)