„Pro Reli“-Vorsitzender Lehmann im Interview: „Wir wollen Wahlfreiheit“

In Berlin geht der Streit um den Religionsunterricht in die Endphase. Mit einer Unterschriftensammlung will die Bürgerinitiative "Pro Reli" die Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an den Berliner Schulen erreichen. Bis zum 21. Januar müssen dazu 170.000 Unterschriften von Berliner Bürgern gesammelt werden.
Von PRO

Ende vergangenen Jahres sorgte Christoph Lehmann für gehörigen Wirbel. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ kritisierte er den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), der sich für eine Gegenbewegung unter dem Motto „Pro Ethik“ engagiert. „Zu der sogenannten Initiative Pro Ethik gehört federführend der HVD. Dieser zeichnet sich durch religionsfeindliche und -diffamierende Äußerungen aus“, sagte Lehmann der „FAS“.

So befinde sich auf der Internetseite des Humanistischen Pressedienstes hpd ein Artikel mit dem Titel „Die religiöse Dressur des Kindes“, in dem Erstkommunionkinder mit dressierten Zirkuspferden verglichen würden. Eine solche Herabwürdigung Andersgläubiger oder Andersdenkender sei Ausdruck weltanschaulicher Intoleranz und mangelnden Respekts vor der Religiosität anderer. Der Anspruch der Initiative „Pro Ethik“, mit einem einheitlichen Fach Ethik einen Beitrag zur Toleranz und zu gegenseitiger Verständigung leisten zu wollen, werde dadurch diskreditiert, so Lehmann.

Der vom Berliner Senat als weltanschauliche Gemeinschaft den Kirchen gleichgestellte HVD ist 1993 aus den Mitgliedern des 1988 vom Politbüro und der DDR-Staatssicherheit gegründeten Pankower Freidenker-Verbandes und dem West-Berliner Landesverband des Deutschen Freidenker-Verbandes hervorgegangen, so „FAS“-Autorin Antje Schmelcher in dem Beitrag. Er bietet an Schulen in Berlin und Brandenburg das atheistische Bekenntnisfach Lebenskunde an. In diesem Fach werde, so Lehmann, eine Interpretation von Religion gegeben, die von Religionsfeindlichkeit geprägt sei und daher für gläubige Menschen gleich welcher Herkunft nicht annehmbar sei.

Für Berliner Schüler ist die Teilnahme am Religionsunterricht freiwillig und für die Zeugnisse irrelevant. Dagegen ist das Fach Ethik ein Pflichtfach. „Pro Reli“ möchte, dass beide Fächer künftig gleichberechtigt behandelt werden und die Schüler sich für eines von beiden entscheiden müssen.

Für einen von „Pro Reli“ angestrebten Volksentscheid müssen bis zum 21. Januar 170.000 Unterschriften zusammenkommen. Derzeit haben nach Angaben von „Pro Reli“ rund 135.000 Berliner unterschrieben.

pro-Autor Benjamin Lassiwe hat für die aktuelle Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro mit dem Rechtsanwalt Christoph Lehmann gesprochen – er ist Vorsitzender von „Pro Reli“.

pro: Herr Dr. Lehmann, was ist das Ziel von Pro Reli?

Lehmann: Um das zu verstehen, muss man erst einmal erklären, wie die Situation des Religions- und Weltanschauungsunterrichts in Berlin ist. Anders als in fast allen Bundesländern ist Religion in Berlin kein ordentliches Lehrfach, sondern eine freiwillige Arbeitsgemeinschaft, die in den Schulen von den Glaubensgemeinschaften angeboten wird. Dazu hat der Senat 2006 ein Pflichtfach Ethik eingeführt, das für alle Schüler ab der siebten Klasse verbindlich ist. Was wir nun erreichen wollen, ist, dass die Schüler Wahlfreiheit haben, dass sie sich also zwischen Ethik und einem ordentlichen Schulfach Religion entscheiden können.

170.000 Unterschriften sind eine ganze Menge. Schaffen Sie das wirklich?

Wir haben die Unterstützung der beiden großen Kirchen, der jüdischen Gemeinde und einiger muslimischer Verbände. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir das schaffen werden. Wir sprechen ja nicht nur die Menschen an, die an die Kirchen gebunden sind. Unsere Forderung nach Wahlfreiheit trifft vielmehr die Seele der Berliner: Schon Friedrich der Große wollte ja, dass jeder nach seiner Facon selig werden kann.

Aber schon das gescheiterte Volksbegehren um den Flughafen Tempelhof hat ja versucht, die Berliner Seele anzusprechen…

Das Volksbegehren ist gescheitert, weil nicht genug Leute an der Abstimmung teilgenommen haben. Wir rechnen damit, dass die Abstimmung über unser Volksbegehren am Tag der Europa-Wahl stattfindet, wo die Menschen sowieso in die Wahllokale gehen, auch wenn es nur die Europawahl ist. Abgesehen davon ist der Religionsunterricht anders als Tempelhof kein Ost-West-Thema: Auch im Ostteil der Stadt sind die Menschen für den Religionsunterricht ansprechbar. Und anders als beim Volksbegehren um den Flughafen interessiert der Religionsunterricht auch alle die 800.000 Menschen, die in den letzten 20 Jahren nach Berlin gezogen sind. Viele von ihnen kommen aus Gegenden, wo der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, und wünschen sich das auch für ihre Kinder.

Nun argumentiert ja auch der Berliner Senat damit, dass auch das Fach Ethik der Toleranz dient.

Das muss man mir wirklich mal erklären: Wenn man alle Kinder in ein Zwangsfach packt, und sagt, dass das jetzt multikulturell sei, dann ist das einfach abwegig. Das kann man nicht anders sagen: Wenn man die Kinder in ihrer kulturellen Vielfalt ernst nimmt, dann muss man ihnen auch die Möglichkeit geben, etwas von dem zu erfahren, wo sie herkommen, also etwas von ihrer eigenen Religion zu lernen. Und die Argumentation, dass man ein gemeinsames Pflichtfach Ethik als Basis für den Austausch der Schüler untereinander braucht, ist doch hanebüchen: Schließlich begegnen sich die Schüler in allen anderen Unterrichtsfächern rund 30 Stunden pro Woche. Auch dort findet ja ganz selbstverständlich ein Austausch über Werte statt. Ferner sieht unser Modell eine enge Kooperation zwischen den Fächern ausdrücklich vor, die natürlich auch einen Austausch einschließt.

Menschen, die nicht in Berlin wohnen, sind bei Ihrem Volksbegehren nicht unterschriftsberechtigt.

Das ist richtig. Aber auch solche Menschen kennen ja Menschen, die in Berlin wohnen. Wir hoffen daher auch auf finanzielle Unterstützung von Menschen außerhalb Berlins, und darauf, dass interessierte Eltern etwa aus Hannover oder München Bekannte in Berlin zur Unterschrift für Pro Reli animieren. Denn ich glaube wirklich, dass es bei Pro Reli auf die persönlichen Gespräche ankommt, die die Menschen schließlich zur Unterschrift animieren.

Wir danken für dieses Gespräch!

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