„Erlaube mir mich vorzustellen. Mein Name, oder wie ich von sogenannten ‚Ärzten‘ genannt werde, ist Anorexie. Mein vollständiger Name ist Anorexia Nervosa, aber du kannst mich Ana nennen. Ich hoffe, wir werden gute Freunde.“ So heißt es in einem fiktiven Brief, der im Internet kursiert. „Ana“ ist die personifizierte Magersucht (Anorexia Nervosa), die auf so genannten Pro-Ana-Websites als „Freundin“ daher kommt.
Die Bewegungen Pro-Ana („für Magersucht“) und Pro-Mia als Pendant für Bulemiekranke sind Anfang dieses Jahrtausends in den USA entstanden. Ihre Anhänger, meist junge Frauen, tauschen sich im Internet aus, wo sie Magersucht als Lebensstil und extremes Schlankheitsideal darstellen. So beschreiben Christiane Eichenberg von der Universität Köln und Elmar Brähler vom Uniklinikum Leipzig die bedenkliche Bewegung in der Psychologiefachzeitschrift „PPmP“ (Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie). Die Essstörung würde dadurch zu einer „Art der Selbstverwirklichung, der Souveränität und Autonomie über den eigenen Körper“ erhöht, wobei die Krankheit „gegen eine feindselige Umwelt verteidigt werden muss“.
Anas „10 Gebote“: „Du sollst dünn sein“
Im Internet gibt es dazu spezielle meist passwortgeschützte Foren, wie das mit dem Titel „Fette Babys“, das als Leitspruch postuliert: „Wir werden immer schöner! Ana hilf uns!“. Außerdem führen die Pro-Ana-Anhänger eine Vielzahl von Weblogs, auf denen sie unter anderem Abnehmtipps weitergeben und Fotos ihrer Figurideale als Diätmotivation präsentieren. Diese sogenannten „Thinspirations“ zeigen beispielsweise untergewichtige Promis und Models. Die Nutzer dieser Internetangebote führen sogar Diätwettbewerbe durch. Das bedeutet zum Beispiel, dass jeder Teilnehmer sein Gewicht täglich in eine Tabelle auf dem Weblog einträgt. Nach einer Woche wird der „Diäterfolg“ dann ausgewertet.
Die Pro-Ana-Bewegung hat ihre eigenen Gebote, Gesetze und Regeln, die ebenfalls in verschiedenen Versionen auf vielen Weblogs verbreitet werden und oft religiös anmuten. Die „10 Gebote“ postulieren zum Beispiel „Du sollst Deine Waage als das wichtigste in Deinem Leben ehren“ oder “ Du sollst dünn sein; bist Du nicht dünn, so bist Du nicht gut“. In „Anas Psalm“ heißt es: „Meine Diät sei streng. Ich darf nicht wollen. Sie lässt mich hungrig zu Bett gehen. Sie führt mich an den Konditoreien vorbei.“ Sogar ein Glaubensbekenntnis gibt es, dass unter anderem bekundet: „Ich glaube, dass ich die schlechteste, wertloseste und nutzloseste Person bin, die je auf unserem Planeten gelebt hat“ und „Ich glaube an die Errettung, in dem ich heute härter an mir arbeite als gestern“.
Pro-Ana-Webseiten jugendgefährdend
Der Jugendschutz hat sich bereits mit den Magersuchtsseiten beschäftigt. Jugendschutz.net führte in den Jahren 2006 und 2007 eine umfassende Recherche dazu durch, berichtet das Nachrichtenportal „zoomer.de“. Von 270 überprüften Internetseiten waren 80 Prozent problematisch oder unzulässig. In über 70 Prozent der Fälle konnte eine Änderung der kritisierten Angebote erwirkt werden. Bedenkliche Seiten können auch direkt von den Nutzern via Onlineformular an jugendschutz.net gemeldet werden.
„Fallen Angel“ und „Spiegelkind“ sind die Internetpseudonyme der Betreiberinnen eines großen Forums, das geschlossen wurde. „Spiegelkind“ schrieb per Email an „Spiegel-Online“: „Ich denke nicht, dass Pro-Ana-Seiten wirklich gefährlich sind.“ Sie sieht vielmehr den positiven Effekt, dass Betroffene sich austauschen können: „Meist nimmt der Austausch über die Gefühle und die Stimmung überhand und wird wichtiger als das Abnehmen.“
Auch die Wissenschaftler Eichenberg und Brähler sehen in dem unzensierten Austausch mit anderen Betroffenen eine Chance. „Die ‚Heimlichkeit‘ wird aufgegeben und somit ein Schritt in Richtung der Überwindung von Isolation möglich.“ Jedoch könne sich die Gruppendynamik in den Foren auch massiv negativ auswirken. „Der Selbsthilfeaspekt der Pro-Ana-Webseiten wird dadurch untergraben, wenn die Symptome der Essstörung beibehalten, gefördert und sogar zum Identitätsmerkmal erhöht werden.“
Experten: Selbsthilfeforen können konstruktiv sein
Man sollte die Selbsthilfeforen von und für Essgestörte jedoch differenziert betrachten, so Eichenberg und Brähler. Eine Vielzahl der Internetangebote habe sich als effektiv erwiesen. Deshalb haben die Wissenschaftler eine Reihe von Kriterien aufgestellt, die zum Beispiel Einrichtungen wie jugendschutz.net helfen sollen, die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der Seiten zu beurteilen. Die Selbsthilfeforen müssten „eine eindeutige Haltung ‚zur Bekämpfung der Krankheit'“ beziehen.
Einige der Pro-Ana-Seiten verweisen sogar auf seriöse Hilfsangebote wie hungrig-online.de oder bzga-essstoerungen.de. „Jedoch soll sich weder jemand dazu gezwungen noch davon abgehalten fühlen, von Ana wegzukommen. Jedem, der das will und das schafft: Herzlichen Glückwunsch“, wird der Linkliste auf einer Seite hinzugefügt.