Pressefreiheit: Deutschland verpasst Top Ten

Finnland, die Niederlande und Norwegen führen das am Mittwoch veröffentlichte Ranking der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ an. Andere Demokratien rutschten dagegen drastisch ab.
Von PRO
Auch Journalisten, die in demokratischen Staaten tätig sind, sehen ihre Arbeit durch eingreifende Behörden erschwert
Es sei unerträglich, „dass Länder mit einer langen Tradition freier Medien in ähnliche Sicherheitsreflexe verfallen wie Diktaturen“, kritisierte Reporter ohne Grenzen-Vorstandssprecher Michael Rediske in Berlin. In den USA habe die staatliche Verfolgung von investigativen Journalisten und ihren Hinweisgebern aus den Sicherheitsbehörden ein nie gekanntes Ausmaß erreicht. Das Land sank im Vergleich zum Vorjahr um 13 Plätze auf Platz 46. Die 35-jährige Haftstrafe für Bradley Manning und der Umgang mit dem NSA-Whistleblower Edward Snowden sollten Nachahmer davon abschrecken, Journalisten brisante Informationen über Fehlverhalten von Regierung und Behörden zuzuspielen. Telefonanschlüsse der Nachrichtenagentur Associated Press seien ausgeforscht worden und ein Gericht entschied, dem New York Times-Reporter James Risen im Prozess gegen einen mutmaßlichen Informanten das Recht auf Aussageverweigerung abzusprechen. Das auf Platz 33 gelistete Großbritannien habe die Zeitung The Guardian wegen ihrer Veröffentlichungen zu den Recherchen Snowdens unter massiven Druck gesetzt und die Redaktion gezwungen, Festplatten mit Informationen des Whistleblowers zu zerstören. Um sich vor gerichtlichen Schritten der Regierung gegen weitere Enthüllungen zu schützen, habe das Blatt eine Kooperation mit der New York Times begonnen. Die aktuelle Reporter ohne Grenzen (ROG)-Rangliste der Pressefreiheit vergleicht die Situation der Medien in 180 Staaten und Regionen für den Zeitraum von Dezember 2012 bis Mitte Oktober 2013. An der Spitze der Rangliste stehen Finnland, Niederlande und Norwegen. Dazu trügen liberale Regelungen über den Zugang zu Behördeninformationen sowie der Schutz journalistischer Quellen bei.

Deutschland: Sicherheitsbehörden überwachten Journalisten

Auch in Deutschland sei vergangenes Jahr verstärkt sichtbar geworden, wie sehr Journalisten im Visier in- und ausländischer Sicherheitsbehörden stünden. Die Bundesrepublik ist auf Rang 14 platziert, im Vorjahr lag sie auf Rang 17. Die CIA habe versucht, Informationen über einen deutschen Reporter beim Bundesverfassungsschutz abzufragen. Der Verfassungsschutz gab laut dem Bericht an, beide Anfragen abgelehnt zu haben. Der niedersächsische Verfassungsschutz habe zudem jahrelang mehrere Journalisten überwacht. Wiederholt hätten Ermittler Recherchematerial beschlagnahmt oder gezielt nach Medienkontakten geforscht. Bedenklich ist nach Ansicht von ROG die im Juli in Kraft getretene Neuregelung der Bestandsdatenauskunft, durch die die Polizei, Geheimdienste und Zoll leichten Zugriff auf Informationen wie Handy-PIN, Passwörter zu E-Mail- und Cloud-Diensten sowie auf dynamische IP-Adressen gewährt bekommen. Auch gelange die Presse oft nur schwer an Behördenauskünfte. Mehrfach hätten Journalisten Drohungen von Neonazis, Salafisten oder aus dem Umfeld von Kriminellen erhalten. Durch Schließungen, Übernahmen und Zusammenlegungen von Redaktionen sinke zudem die Vielfalt der Presse weiter. Dies betrifft etwa die Westfälische Rundschau, die seit Februar 2013 ohne eigene Redaktion erscheint – ein Novum in Deutschland. Im April stellte die Nachrichtenagentur dapd nach zwei Insolvenzen binnen eines halben Jahres, einer Umstrukturierung und der kurzzeitigen Übernahme durch einen Investor ihren Betrieb ein. Ende Februar verkündeten die Frankfurter Societät (Frankfurter Neue Presse) und der Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Übernahme der insolventen, schon seit Jahren um das Überleben kämpfenden Frankfurter Rundschau.

Deutscher Journalisten-Verband: Wie überwacht NSA deutsche Reporter?

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert mehr Aufklärung über die Aktivitäten der Sicherheitsdienste. „Die größten Gefahren für die Pressefreiheit gehen laut ROG von den Geheimdiensten aus, auch bei uns“, schreibt Verbandssprecher Hendrik Zörner auf dem Blog des DJV. „So ist nach wie vor ungeklärt, ob und in welchem Ausmaß deutsche Journalisten von NSA und GCHQ überwacht werden.“ Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer, erklärte: „Die Rangliste zeigt aber leider auch, dass die Pressefreiheit in vielen Ländern der EU nicht gewährleistet ist. Griechenland und Bulgarien belegen die Plätze 99 und 100 von insgesamt 180 Rängen. Beide Länder sind im Vergleich zum Vorjahr massiv abgewertet und zeigen damit eine gefährliche, mit den Leitgedanken der Europäischen Union nicht vereinbare Tendenz.“

Syrien, Iran und Ägypten: Keine Fortschritte für Pressefreiheit sichtbar

Vergangenes Jahr hatte ROG die ägyptische Muslimbruderschaft zu „Feinden der Pressefreiheit” erklärt. Seit Mursis Sturz durch das Militär betreibe die Regierung eine „systematische Hexenjagd gegen Muslimbrüder und deren angebliche Sympathisanten in den Medien“, heißt es im Bericht der Organisation. Allein in der zweiten Jahreshälfte seien fünf Journalisten getötet und rund 80 willkürlich festgenommen worden. Ägypten rangiert weiter auf Platz 159, keine Fortschritte für die Pressefreiheit seien erkennbar. In Syrien, unverändert auf Platz 177, verbreiteten neben den Sicherheitskräfte des Assad-Regimes dschihadistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front und der Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIS) unter Journalisten ein Klima der Angst. Sie verübten zahlreiche Anschläge auf Redaktionen sowie entführten Reporter. Irans Öffnung durch den als moderat bezeichneten Präsidenten Hassan Rohani lasse auf sich warten. Die Islamische Republik ist auf Platz 173 zu finden. Zum Jahresende seien in dem Land 50 Journalisten und Blogger in Haft gewesen. Die unverminderte Zensur ziele besonders auf Themen wie das Atomprogramm und Irans Unterstützung für die Regierung Syriens.

Russland entzieht Nachrichtenagentur vor Olympia Lizenz

Das auf Platz 148 rangierende Russland habe durch mehrere repressive Gesetze die Medienfreiheit weiter eingeschränkt. Seit 2013 sei es verboten, in den Medien Schimpfwörter zu benutzen, religiöse Werte zu beleidigen oder über nichttraditionelle sexuelle Beziehungen positiv zu berichten. Vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi habe die unabhängige Nachrichtenagentur Rosbalt ihre Lizenz verloren. Seit dem Jahr 2000 seien in Russland mindestens 33 Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordet worden. Bei den regierungskritischen Gezi-Protesten in der Türkei von Mai bis September im vergangenen Jahr seien 153 Journalisten verletzt und 39 vorübergehend festgenommen wurden. Mindestens 14 Journalisten seien infolge der Proteste entlassen worden, 22 hätten ihren Arbeitgeber freiwillig verlassen. Zehntausende Internetseiten seien gesperrt worden. Die Regierung Erdogan kündigte nach den Protesten weitere Einschränkungen an. Ende des Jahres hätten rund 60 Journalisten in türkischen Gefängnissen gesessen, die meisten wegen ihrer Arbeit für pro-kurdische Medien oder wegen angeblicher Verbindungen zu Geheimorganisationen. In unterschiedlichen Prozessen wurden mehrere Journalisten zu langjähriger Haft verurteilt. In der Rangliste der Pressefreiheit hat kein anderes Land seine Platzierung so stark verschlechtert wie die Zentralafrikanische Republik. Sie rutschte 43 Plätze auf Rang 109. Dort würden Drohungen und Angriffe gegen Journalisten und Medien seit dem Putsch im März 2013 immer häufiger. Viele Zeitungen hätten sich ihrerseits in eines der politischen Lager geschlagen. Listen-Schlusslichter sind wie seit Jahren Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea. (pro)
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