Predigen mit Pistole und Bibel in der Hand

Im Film „Die letzten Tage von Gilda“ wollen konservative Christen Wahlen und immer mehr Einfluss auf die Stadtviertel von Rio de Janeiro gewinnen. Die Machtübernahme wird immer gewalttätiger, und Gilda, eine junge Frau im Viertel, die einfach nur das Leben genießen will, wird als Hexe diffamiert.
Von Jörn Schumacher
Ismael (links) will die Stadtratswahlen in einer Favela in Rio de Janeiro gewinnen. Eine Frau namens Gilda weigert sich, dem immer gewalttätigeren Druck der frommen Christen nachzugeben.

Von Machtmissbrauch im Namen der Bibel handelt eindrucksvoll der brasilianische Film „Os últimos dias de Gilda“ („Die letzten Tage von Gilda“), der aus vier Episoden besteht und in der Sektion „Berlinale Series“ läuft. Regisseur Gustavo Pizzi zeigt eine junge, lebenshungrige Frau, die gerne kocht, am liebsten mit Männern, und anschließend die Männer gleich mit vernascht. Die verschiedenen Männer gehen tatsächlich ein und aus, und ob Gilda ausschließlich vom Verkauf ihrer Hühner und Schweine lebt, oder auch ein wenig von diesen Männern, lässt der Film im Dunkeln. Fest steht: Diese Frau weiß das Leben zu genießen und provoziert damit so manche fromme Christen in der Nachbarschaft.

Zunächst ist da nur der junge Lokalpolitiker Ismael, der in den Stadtrat gewählt werden will und sich im Wahlkampf als Mitglied einer Freikirche präsentiert. Schnell sind ein paar fromme Sprüche und Bibelverse auswendig gelernt, ein weißes Hemd angezogen, und schon kann die große Menge an Christen in Rio als Wählerschaft ins Visier genommen werden. Der Film prangert die eklige Vermischung von Glaube und Politik an. Eben noch sprach Ismael von Jesus und der Bibel, gleich darauf fordert er die Bürger seines Viertels auf: „Wählt Ismael!“ Er fügt hinzu: „Für die Partei des Herrn“ und schmettert gleich noch ein „Amen“ hinterher. Wer will da noch zweifeln, wo doch offenbar Gott höchstselbst hinter dem Politiker steht?

Starkes feministisches Statement

Der Politiker will nicht nur gute Politik für sein Viertel machen, sondern gleich auch „die Sünde“ vertreiben. Ein Heiliger ist Ismael selbst aber auch nicht. Schnell will seine „Partei Gottes“ die Favela erobern, und dazu „säubern“ sie die Straßen von sündigen Menschen wie Gilda. Hass-Parolen tauchen auf Gildas und dem Haus ihrer Freundin auf; die hält es nicht mehr aus und zieht weg, doch Gilda bleibt. Im Gegenteil, die Treffen mit ihren Männern fallen absichtlich noch etwas lauter aus.

Sicher führt Gilda nicht das Leben einer Heiligen. Mit welchem Mann sie gerade zusammen ist, ist unübersichtlich. Sie hat offenbar auch einen Sohn, der aber bei seiner Oma lebt, einen Vater gibt es wohl nicht mehr. Gilda selbst bezeichnet sich als nicht-gläubig, aber dass es da offenbar noch einen uralten Voodoo-Glauben gibt, wird nur angedeutet.

Aus den Schmierereien auf den Hauswänden wie „Geh weg, Satan“, „Hure“ oder „Hexe“ werden immer bedrohlichere Situationen. Aus der Partei wird eine Guerilla-Gruppe, die sich „Armee Gottes“ nennt. Als eine Art christliche Mafia übernehmen sie die Macht im Viertel. Wer eine Bibel im Haus hat, wird „beschützt“, alle anderen müssen um ihr Leben fürchten. Die Männer pervertieren den christlichen Glauben und predigen mit der Pistole in der einen, und der Bibel in der anderen Hand gegen „Immoralität“. „Gott ist unsere Waffe“, predigt der Anführer.

Für Gilda wird das Leben zum Albtraum. Doch sie will sich weder aus ihrem Haus vertreiben lassen noch sich unter Zwang der „Armee Gottes“ beugen. Am Ende sind es die Frauen des Viertels, die sich mit ihrem Hunger nach Lebensfreude und ohne Angst vor den bewaffneten (vermeintlichen) Bibeltreuen entgegenstellen. Mit einem Lächeln im Gesicht.

Der Film „Os últimos dias de Gilda“ ist nicht nur ein starker Warnruf gegenüber einer überbordenden politischen Macht, den Evangelikale derzeit in Brasilien unter dem Deckmantel des christlichen Glaubens an sich reißen; er ist auch ein starkes feministisches Statement. Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Rodrigo de Roure schuf Regisseur Gustavo Pizzi einen hochaktuellen Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in Brasilien, aber auch auf eine Verhaltensweise von Christen, die eigentlich nur politischen Einfluss anstreben und dabei die Bibel hochhalten. Sie vergessen dabei, dass Jesus selbst wohl nie mit einer Pistole in der Hand gepredigt hätte. Gilda ist wie die Sünderin in der biblischen Geschichte von der Ehebrecherin; aber wie aus der Bibel auch hervorgeht, waren es gerade diese Sünder, mit denen Jesus sich abgegeben hat. Würde Jesus heute nach Rio kommen, wäre ihm die politische Partei mit den meisten Bibelsprüchen auf dem Wahlplakat wahrscheinlich egal.

Die Berlinale findet in diesem Jahr vom 1. bis 5. März zunächst nur für ein Fachpublikum statt, die Filme werden statt in Kinos über das Internet gezeigt. Die Preisträger werden am 4. und 5. März bekanntgeben. Die Preisverleihung der 71. Berlinale findet in Anwesenheit des Publikums beim „Summer Special“ im Juni vom 9. bis zum 20. Juni statt.

Von: Jörn Schumacher

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