Prävention statt Prohibition

Bertold Höcker ist Superintendent in Berlin Stadtmitte. Im Interview erklärt er, warum das Spielen im Menschen angelegt ist und Glücksspiel in unserer Gesellschaft einen schlechten Ruf hat. Als Glücksspiellobbyist sieht sich der Theologe aber nicht.
Von PRO
Der Berliner Superintendent Berthold Höcker stand zum Thema Glücksspiel Rede und Antwort

Der Evangelische Kirchenkreis Berlin Stadtmitte lud vor ein paar Wochen gemeinsam mit dem Düsseldorfer Kreis zu dem Symposium „Vom Subjekt zum Menschen – oder wie ein Perspektivwechsel hilft, Glücksspiel zu regulieren“ ein. Der Düsseldorfer Kreis ist eine Initiative von Verantwortlichen aus Glücksspielanbietern, Suchthilfe, Wissenschaft und Beratung, die im Diskurs Vorschläge für eine am Verbraucherschutz orientierte Glücksspielregulierung für Deutschland entwickelt. Einer der Vortragenden war der Superintendent in Berlin-Mitte, Bertold Höcker. Er erklärt im Interview, warum das Spielen in uns Menschen angelegt ist und welche Rolle die Kirche dabei spielt.

Die Idee der Veranstaltung war, die Glückspielregulierung vertiefter zu betrachten. Daraus sollten Wege für eine moderne und funktionierende Glücksspielregulierung aufgezeigt werden.

pro: Herr Höcker, sind Sie ein Spieler?

Berthold Höcker: Das kommt auf die Definition an. Mir gefällt diejenige, die das Spiel als Handlung ohne Motivation definiert, am besten. Man spielt des Spielens wegen. Der Mensch braucht das zur Kontemplation. Auch ich. Deshalb meine Antwort: Ja, ich bin ein Spieler, aber kein Zocker.

Ein Christ aus Rheinland-Pfalz hat 50 Millionen Euro im Lotto gewonnen, weil er die Zahlen in Kreuzform angeordnet hat. War das göttliche Fügung?

Alles kommt von Gott. Viele Spieler ordnen ihre Lottozahlen in geometrischen Formen an, „tippen“ Kreuze, Reihen und Dreiecke. Lebendig zu sein und spielen zu dürfen ist das Wesen der Gotteskindschaft. An der Gnade, am Leben zu sein, gibt es nichts, was durch Taschenspielertricks hinzuzufügen wäre. Glück ist ein Geschenk und kein Verdienst. Beeinflussbar ist es nicht.

Wieso hat das Glücksspiel vor allem in der christlichen Tradition einen schlechten Ruf?

In der Bibel würfeln die römischen Soldaten unter dem Kreuz um Jesu Kleider. Zudem entspricht der Spielgewinn nicht dem Leistungsgedanken und dem Zusammenhang von Tun und Ergehen. Dass der Zufall entscheidet, finden viele ungerecht. Dennoch muss ich ja ein Los kaufen oder Geld setzen, um etwas zu gewinnen. Wenn es im Menschen angelegt ist zu spielen, dann darf er auch nicht dafür verurteilt werden.

Viele verstehen die Rolle der Kirche falsch: Sie ist keine Moralanstalt mit Werten, sondern eine Deutungsinstanz. Sie trägt eine von vielen möglichen Deutungen der Wirklichkeit und des Menschseins vor. Der Mensch sollte einen gesetzlichen Rahmen erhalten, der ihm das Spielen in einem geordneten regulierten Umfeld ermöglicht. Untrennbar dazu gehört auch ein Hilfeangebot für Menschen, deren Verlangen nach dem Erlebniszustand beim Glücksspiel suchthafte Züge annimmt.

Wann gerät ein Mensch in die Gefahr, spielsüchtig zu werden?

Suchtgefahr besteht immer dann, wenn ein Mensch versucht, mit dem Glücksspiel Ängste, Defizite oder Schuldgefühle zu kompensieren. Wenn man zum Beispiel eine Spielhalle aufsucht, um ein Problem zu lösen, stimmt etwas nicht.

Das Lottospiel scheint in unserer Gesellschaft weniger kritisch gesehen zu werden als etwa der Besuch einer Spielhalle. Woran liegt das?

Das Lottospiel galt von Beginn an als Mittel, um das Gemeinwohl zu finanzieren. Die Gelder ermöglichten Aufgaben, die allen nützten. Die Lotterie hat auch einen starken kulturellen Anker in unserer Gesellschaft. Sie wurde immer dazu genutzt, mit dem Geld gewisse Aufgaben zu erfüllen oder Überschüsse für soziale Zwecke zu verwenden.

Heute fließt viel Geld in die Bereiche Sport, Kunst und Kultur. Das Bild der Automatenspielhallen prägen dagegen die schlechtesten Anbieter. Weil sie in der Regel privat betrieben werden, fällt hier in der öffentlichen Wahrnehmung auch der Aspekt des Gemeinwohls weg. Eine legal betriebene Spielhalle bezahlt aus ihren Gewinnen aber auch Steuern und finanziert so das Gemeinwohl – nur nicht so offensichtlich.

Wie sehen Sie die Rolle der Kirche in dieser Frage?

Die Kirche stellt einen Rahmen zur Verfügung, in dem wir herrschaftsfrei über den richtigen Regulierungsrahmen debattieren können. Wir haben mit unserem Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte im vergangenen Monat daher ein Symposium „Kirche und Glücksspiel“ organisiert. Dabei wurde klar, dass in der jetzigen Regulierung das Prohibitionsdilemma vielfach ausgeblendet wird. Politiker, die sich für eine nichtprohibitive Regulierung aussprechen, haben sofort ein Reputationsproblem. Niemand in der Politik möchte in den Ruf geraten, der Lobby der Glücksspielindustrie nachgegeben zu haben.

Haben Sie keine Angst, als Glücksspiellobbyist zu gelten?

Nein. Ich bin dem Evangelium und den davon abgeleiteten Zielen meiner Kirche verpflichtet. Daher unterstütze ich alle Versuche, Menschen bei der Deutung der Wirklichkeit und ihrer Person zu helfen und einen gesellschaftlichen Rahmen mitzugestalten, in dem der Mensch sich mit seinen gottgegebenen Gaben entfalten kann. Natürlich hat die Kirche auch ein Partikularinteresse, denn ohne beispielsweise die Lottomittel können wir unsere öffentlichen Funktionen kaum mehr schaffen. Allein die Evangelische Kirche muss 21.000 Gotteshäuser unterhalten. Dabei ist sie bei der Bauunterhaltung und Denkmalpflege auf Lottomittel angewiesen.

Befürworten Sie eine strengere staatliche Regulierung des Glücksspiels?

Ja. Ich bin der Meinung, dass strengere Regularien besser sind als der Status quo. Aktuell ist es so, dass illegale Anbieter gegenüber den legalen bevorzugt werden. Ich würde mir wünschen, dass die Hürden für das Betreiben von kommerziellem Glücksspiel deutlich erhöht würden. Das ginge etwa über Zertifizierung, verpflichtende Qualifizierung von Personal und engmaschige Kontrollen.

Die jetzige Regulierung bevorzugt die Illegalen?

Ja. Die jetzige Regulierung richtet sich nach dem Prinzip „weniger Angebot ist besser“. Für die lizensierten Spielhallen gibt es Abstandsregeln, für sogenannte Café-Casinos nicht. Dabei sind die lizensierten Betriebe in der Regel die qualitativ besseren Betreiber und Café-Casinos oft in dubiosen Händen. Das Problem der Onlinecasinos wird in der Regulierung zudem komplett ausgeblendet. Die sind indes hierzulande verboten.

Also Prävention statt Prohibition?

Unbedingt. Prohibition bringt nur das Gegenteil dessen, was man erreichen will. Prohibition verschiebt das Geschäft aus der Legalität in die Illegalität. Prohibition schenkt der organisierten Kriminalität einen Milliardenmarkt und gibt die fiskalische Kontrolle ab. Eine solche Regulierung widerspricht dem Evangelium und wird dem Menschen nicht gerecht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Sebastian Moll. (pro)

Von: Sebastian Moll

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