"Nach wie vor sind die Besitzrechte an Kirchengebäuden und Grundstücken, auch für unsere deutschsprachige evangelische Gemeinde in Istanbul, rechtlich ungesichert", erklärte Schneider in dem Festgottesdienst am Sonntag. Der EKD-Ratsvorsitzende forderte die Regierung auf, das im Sommer dieses Jahres erlassene Restitutionsdekret (Verordnung zur Wiedergutmachung, Anm. d. Red.) zügig umzusetzen. Darin ist die Rückgabe von enteignetem Besitz an christliche und jüdische Gemeinden in der Türkei vorgesehen. Es habe in den letzten Monaten eine Reihe positiver Entwicklungen gegeben, sagte der Ratsvorsitzende. Er freue sich über die hoffnungsvollen Signale, die er von Vertretern verschiedener Konfessionen in der Türkei gehört habe. "Ich hoffe, dass dieser Weg der Religionsfreiheit und des konstruktiven Miteinanders zum Wohl der türkischen Gesellschaft sich fortsetzt."
Die evangelische Kreuzkirche in Istanbul feiert in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag. Schneider war zu den Jubiläumsfeierlichkeiten am dritten und vierten Dezember an den Bosporus gereist. In seinem Grußwort würdigte Schneider die kulturelle Vermittlungsarbeit und das Engagement für Flüchtlinge und Notleidende, das die Gemeinde vor Ort leiste.
Türkei ist Wurzelgrund der Christenheit
Das Territorium der heutigen Türkei sei in der Bibel als Ort frühester christlicher Gemeinden genannt, wichtige Ereignisse der Christenheit haben in diesem Land stattgefunden. "Wir stehen hier sozusagen auf dem Wurzelgrund der Christenheit. Christlicher Glaube und christliche Kirche wollen aber nicht nur Teil einer alten, vergangenen Geschichte sein, sondern auch – wenn auch fraglos unter sehr veränderten Bedingungen – wichtiger und bereichernder Bestandteil der Gegenwart dieses Landes und dieser Stadt." Die Kreuzkirche biete als Gotteshaus Menschen mit deutscher Muttersprache ein Stück Heimat. "Einer fremden Stadt Bestes zu suchen, wie der Prophet Jeremia es sagte, ohne die eigenen Wurzeln und die eigene Identität zu verleugnen und aufzugeben, dieser Aufgabe stellt sich die
deutschsprachige evangelische Gemeinde in Istanbul seit über 160 Jahren."
Im Vorfeld seines Besuchs hatte Schneider angekündigt, es gehe ihm nicht nur um Eigentumsfragen. "Wir erwarten die grundsätzliche Anerkennung der öffentlichen Religionsfreiheit aller christlichen Kirchen in der Türkei, die europäischen Standards entspricht. Sowohl die orientalischen als auch die orthodoxen, evangelischen und katholischen Kirchen müssen ihre Geistlichen im Land ausbilden können." Obwohl in der Vergangenheit bereits mehrfach eine Wieder-Eröffnung in Aussicht gestellt worden sei, sei die Ausbildungsstätte für Theologen in der Orthodoxen Akademie auf Heybeliada/Chalki noch immer geschlossen. Auch die juristischen Enteignungsversuche des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Gabriel im Tur Abdin verfolge er mit großer Sorge, so Schneider. (pro)