PR für eine Diktatur

Als die Mauer im November 1989 fiel, war Egon Krenz Staatschef der DDR. In seinen Memoiren vermittelt er von sich das Bild eines Friedensfürsten und Humanisten. Aufschlussreicher ist, was er verschweigt, findet Benedikt Vallendar.
Von PRO
Egon Krenz bei der Vorstellung seiner Autobiografie

PR für eine Diktatur, ein untergegangenes Staatsgebilde; leider nur das, und nicht das, was Leser im Allgemeinen von den Erinnerungen eines Politikers erwarten: Auch im letzten Band seiner dreibändigen Autobiografie mit dem vielsagenden Titel „Verlust und Erwartung“ vermittelt der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz das Bild der DDR als idyllischer Arbeiter- und Bauernrepublik. Und dass er allein im Herbst 1989 dafür gesorgt habe, dass in Leipzig und Berlin alles friedlich geblieben sei.

Der gute, ewige Egon, ein Friedensfürst, Vermittler und Humanist, der sein politisches Agieren auch dem darauf gemünzten DDR-Bildungssystem zu verdanken habe, so der Tenor fast aller Krenz-Bücher. Keine Rede von den vielen Opfern, die das SED-Regime zu verantworten hat, unzähligen Einzelschicksalen, die bei Fluchtversuchen von DDR-Grenzern wie überschüssige Tierpopulationen abgeknallt worden sind; darunter Christen, Juden und Andersdenkende, die bis heute nichts mehr verabscheuen, als das Wort „Sozialismus“. 

Ende Mai 2025 hatte Krenz Gelegenheit, den letzten Band seiner Memoiren vor ausverkauftem Haus im Berliner Babylon Kino zu präsentieren. Und ja, noch immer scheint es Menschen zu geben, die den kriminellen Charakter des SED-Staates einfach wegleugnen. „Ein Staat, der vorgab, eine demokratische Republik zu sein. Und nichts davon war“, so der Historiker und Theologe Matthias Wanitschke, der dem, was Krenz als Autor sagt noch weniger Bedeutung beimisst als dessen politischen Wirken an der SED-Spitze bis zum Herbst 1989. „Niemals war die DDR eine res publica, eine ‚Sache des Volkes‘, eher ein bewaffneter Karnevalsverein, der mit Spott und Häme auf das gemeine Volk herabblickte“, so Wanitschke. Im Herbst 1989 war der Familienvater Priesteramtskandidat in Erfurt, bevor er mit einer Doktorarbeit zum „Menschenbild der Staatssicherheit“ von sich reden machte. Heute gilt das Buch als Standardwerk zur DDR-Geschichte. 

Egon Krenz „Verlust und Erwartung" Foto: Edition Ost

Egon Krenz, geboren 1937, löste im Oktober 1989 Erich Honecker als Staatschef der DDR und Parteichef der SED ab. Seine Amtszeit dauerte nur wenige Wochen bis Anfang Dezember. In dieser Zeit fiel die Berliner Mauer. Der gebräuchliche Begriff, dieses Ereignis als „Wende“ zu bezeichnen, geht auf eine Äußerung von Krenz zurück. Damit bezog er sich jedoch auf die Aktivitäten seiner Partei. Von 1971 bis 1990 gehörte Krenz der Volkskammer der DDR an. 1997 wurde er zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, von denen er vier im Gefängnis verbüßte, die verbleibenden wurden zur Bewährung ausgesetzt.

Sein Buch „Verlust und Erwartung“ ist der dritte Teil seiner Autobiografie und befasst sich mit der Zeit ab 1989. Sie erschien im Verlag „edition ost“ der Eulenspiegel-Gruppe. 384 Seiten, 26 Euro

Dass Christen oftmals der Weg zu höherer Schulbildung verwehrt war, gehört zu den vielen Verfehlungen, derer sich die kommunistische Diktatur in Ostdeutschland schuldig gemacht hat. Esther Brüsewitz zum Beispiel, musisch begabte Tochter des oppositionellen Pfarrers Oskar Brüsewitz aus Zeitz in Sachsen-Anhalt hätte in der DDR eine Lehre zur Gleisbauarbeiterin machen können, berichtete sie später. Ihr Vater hatte sich aus Protest gegen das Regime selbst verbrannt. Nach der Wende wirkte sie als Seelsorgerin in Thüringen.

Das vermeintlich sympathische Gesicht der SED

Was auffällt: Auch 36 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sucht der ehemalige SED-Generalsekretär Egon Krenz die Nähe zur Bevölkerung, zu Genossen und Nichtgenossen, zu jedem, der ihn sehen und hören möchte, offenkundig beseelt vom Bedürfnis, der Menschheit ein anderes, schöneres Bild der kommunistischen Diktatur im Osten Deutschlands zu vermitteln, als es die Mehrheit der modernen Geschichtswissenschaft zu zeichnen pflegt. „So darf der Leser leider auch von diesem dritten Band nichts spektakulär Neues erwarten, auch wenn das Buch von der Fachwelt mit einer gewissen Spannung erwartet worden war“, sagt die katholische Publizistin Jenny Krämer von der Universität Potsdam.   

Auf Dutzenden Seiten zeichnet Krenz darin das Bild einer sich im Ost-West-Konflikt windenden DDR, die schließlich der sowjetischen Reformpolitik ab Mitte der achtziger Jahre zum Opfer gefallen sei. Die DDR – ein leider fehlgelaufener „Versuch“ mit ihm und ein paar anderen an der Spitze, so Krenz. Und wie er angesichts fehlender freier Wahlen die SED-Herrschaft im Rückblick legitimiert sieht? Dazu schweigt der bekennende Kommunist Krenz ebenso beharrlich wie zu den Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit, für dessen Parteiorganisation er bis 1989 als Zentralkomitee-Sekretär für Sicherheit verantwortlich zeichnete.

Vollmundig hat Krenz wiederholt auf millionenschwere Zuwendungen der DDR an die ostdeutschen Kirchen verwiesen – und dabei geflissentlich verschwiegen, dass sich die rote Diktatur damit vor allem ihre vielen Kranken, Alten und Pflegebedürftigen vom Halse hielt, die in der DDR meist in kirchlichen Einrichtungen versorgt wurden; zuletzt im Januar 1990 Krenz‘ geschasster Vorgänger Erich Honecker, der mit Ehefrau Margot bei der Pfarrerfamilie Holmer in Lobetal bei Berlin kurzzeitig Unterschlupf fand. 

Dass Krenz und Genossen jahrzehntelang Wasser predigten und selbst Wein tranken, gilt heute allenfalls als Schönheitsfehler, worüber der sympathisch wirkende Generalsekretär a.D. ebenso zynisch hinweglächelt wie über die Tatsache, dass er im August 1997 rechtskräftig wegen Totschlags in mittlerer Täterschaft zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, von denen er vier im weitgehend offenen Vollzug verbringen durfte. Der Eindruck beim Lesen seiner Memoiren: Die Zeit hinter Gittern scheint Krenz vor allem dazu genutzt zu haben, der Nachwelt Märchen über das Leben in der DDR zu hinterlassen. 

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