Politiker wissen, dass Glaube wichtig ist

Prälat Bernhard Felmberg ist der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union – oder kurz: der „evangelische Botschafter“. Wir haben mit dem promovierten Theologen über Politiker, öffentlichen Glauben und die Relevanz von christlichen Überzeugungen gesprochen.
Von PRO

pro: Die Position des „Bevollmächtigten“ der EKD existiert seit 60 Jahren – und damit so lange wie das Deutsche Grundgesetz. Was waren die Gründe für die Schaffung Ihres Amtes im Jahr 1949?

Prälat Felmberg: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die evangelische Kirche sehr intensiv mit ihrer Schuld und ihrer Rolle in der NS-Zeit beschäftigt. Es war schon damals klar, dass eine Kirche nach 1945 anders aufgestellt sein muss-te als vorher. Es wurden die evangelischen Akademien gegründet und auch die Dienststelle des Bevollmächtigten. Im Kern war damit das Ziel verbunden, kritischer auf politische Entwicklungen zu schauen – und das Wort Gottes in die Politik hineinzusprechen. Meine Aufgabe ist es heute, „eine Stimme für die Stummen“ zu sein, wie es in meiner Ernennungsurkunde heißt. Das bedeutet, im politischen Geschehen die Interessen von Menschen zu repräsentieren, die sich selber nicht äußern können, wie etwa Flüchtlinge oder Menschen in Entwicklungsländern. Außerdem positionieren wir uns in Fragestellungen, bei denen es um das so genannte Gemeinwohl geht – zum Beispiel mit Blick auf Belange, die die Familie angehen oder die Umwelt. Meine Dienststelle möchte mit einer „evangelischen Stimme“ in politischen Entscheidungen mitreden; umgekehrt berichte ich dem Rat der EKD über grundlegende politische Entwicklungen, die für die Kirche relevant sind.

Inwiefern verstehen Sie sich auch als Seelsorger für die Abgeordneten und deren Mitarbeiter in Berlin?

Die seelsorgerliche Komponente meines Amtes spielt in vielen Gesprächen mit Politikern eine Rolle. Denn auch bei rein sachlichen politischen Fragen kommen bei den Gesprächspartnern oft eigene Überzeugungen in Fragen des Glaubens zur Sprache. Es ist immer auch mein Ziel, das pastorale Mandat meines Amtes auszuüben, etwa durch regelmäßige Andachten im Reichstag. Gerade in diesem Jahr wurden zahlreiche politische Ereignisse mit Gottesdiensten begleitet, etwa die Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes, aber auch bei der Wahl des Bundespräsidenten, bei der ich im Gottesdienst der Bundesversammlung vor der Wahl gepredigt habe.

Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen Politik und Kirche grundsätzlich ein – und auch die frühere „Politiklastigkeit“ mancher Pastoren?

Meiner Einschätzung nach ist das Verhältnis zwischen Kirche und Politik mittlerweile ein sehr konstruktives. Viele Bundestagsabgeordnete gehen regelmäßig in die Kirche; in Gesprächen wird mir immer wieder deutlich gemacht, dass die politischen Akteure die geistlichen Angebote der evangelischen Kirche wahrnehmen und nachfragen. In den 80er Jahren mag das anders gewesen sein, damals war das Verhältnis zwischen Politik und Kirche vielerorts durch Ideologien geprägt. Meine Aufgabe heute ist es, den Kontakt zu allen Abgeordneten aus allen Parteien zu suchen und deutlich zu machen, welche Positionen die Kirche in unserer Gesellschaft vertritt. Aktuell ist zu spüren, dass die Positionen und Angebote der Kirchen zunehmend gefragt sind.

Wo wird das deutlich?

Gerade in ethischen Fragen ist die Stimme der Kirchen immer intensiv nachgefragt worden. Die Bitte um Unterstützung wurde in den letzten Wochen besonders in der Debatte um die Spätabtreibung an uns herangetragen – aus allen Parteien. Durch das Engagement einzelner Politiker und wohl auch durch das der Kirchen ist es in diesem Fall gelungen, eine interfraktionelle Einigung herbeizuführen, die sehr begrüßenswert ist. Noch ein Beispiel: Nach dem Gottesdienst, bei dem mein Vorgänger Stephan Reimers verabschiedet und ich in das Amt des Bevollmächtigten eingeführt wurde, kam die SPD-Abgeordnete Renate Schmidt mit der Bitte auf mich zu, einen Segens- und Dankgottesdienst für diejenigen Parlamentarier anzubieten, die nach der Bundestagswahl im September aus dem Bundestag ausscheiden. Vor kurzem haben mein katholischer Amtskollege Prälat Karl Jüsten und ich diesen Gottesdienst im Andachtsraum des Deutschen Bundestages mit den Abgeordneten gefeiert.

Mit welchen Themen befasst sich die Bundesregierung aktuell – bei denen Sie als Bevollmächtigter des Rates der EKD in Berlin mitreden möchten?

Gerade am Ende der Legislaturperiode hat der Bundestag viele ethische Themen behandelt, es ging zum Beispiel um die Neuregelung des Gesetzes über Spätabtreibung, um das Gendiagnostikgesetz und um die Patientenverfügung. Diese Gesetzgebungsprozesse haben wir aufmerksam und kritisch begleitet. Aktuell befassen wir uns auch mit der Frage des Bleiberechts. Die im Zuge der Altfallregelung für langjährig in Deutschland geduldete Menschen erteilten Aufenthaltserlaubnisse „auf Probe“ müssen über den Dezember dieses Jahres hinaus verlängert werden. Sonst haben viel zu wenig Betroffene die Möglichkeit, eine Arbeit aufzunehmen und damit die gesetzlichen Voraussetzungen für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erfüllen. Wir setzen uns außerdem auch dafür ein, dass Kinder von illegal in Deutschland lebenden Ausländern in die Schule gehen dürfen.

Beim Blick auf Debatten in der Hauptstadt geht es freilich um andere grundsätzliche Dinge. In der Debatte um „ProReli“ haben die Kirchen eine Niederlage erlebt. Dem rot-roten Berliner Senat um den regierenden Bürgermeister Wowereit ist es gelungen – so meinen es zumindest viele Beobachter -, etwa mit einer Festlegung des Datums für den Volksentscheid abseits von Wahlsonntagen die Entscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Könnte die Stimmung in Zukunft auch in anderen Teilen Deutschlands und in weiteren Fragen umschlagen?

Derzeit gibt es in allen Parteien Menschen, die die kirchliche Stimme unterstützen. Ich bin zuversichtlich, dass das auch in Zukunft so bleibt. Die Debatte um „ProReli“ hat indes gezeigt, dass es in Fragen der Religion zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Politik und Kirche kommen kann. Diese deutliche Polarisierung in Berlin muss jetzt wieder überwunden werden. Allerdings kann es nicht falsch sein, dass die gesamte Hauptstadt über das Thema Religionsunterricht geredet hat. Dass dieser Berliner Fall bundesweit „Schule macht“, halte ich allerdings für wenig wahrscheinlich. Denn viele Sozialdemokraten und selbst Politiker der Linken, die nicht dem Berliner Senat angehören, haben sich kritisch zum Ergebnis der Diskussion um „ProReli“ geäußert.

„2009 ist nicht nur ein Superwahljahr, es ist ohne Zweifel ein Superkrisenjahr“, sagten Sie auf einer Tagung des EAK. Wird die Stimme der Kirche aktuell deutlicher wahrgenommen oder nachgefragt als in wirtschaftlich ruhigeren Zeiten?

Krisenzeiten sind immer Zeiten, die den Menschen dazu bringen, intensiver nachzudenken und oft auch die eigene Beziehung zu Gott zu klären. Von daher ist eine Krise sowohl im persönlichen als auch im politischen Leben immer auch eine Chance, neu an Dinge anzuknüpfen, die als verloren galten. Eine Krisenzeit ist daher eine Zeit für Gottes Wort und bietet Ansätze dafür, dass die kirchlichen Positionen im politischen Raum gehört werden. So hat beispielsweise das im Juli veröffentlichte Wort des Rates zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise eine sehr große Resonanz gefunden.

Sie legen auch großen Wert auf das Thema der Christenverfolgung. Warum?

Von einer Delegationsreise des Rates der EKD in die Türkei im Frühjahr bin ich sehr ernüchtert zurückgekommen. Wir haben uns dort sehr genau über die Situation der christlichen Minderheit informiert, mit vielen Pastoren und Christen gesprochen. Deren Lage ist sehr bedrückend. Wir tragen als Christen auch Verantwortung für unsere Geschwister in der Türkei und anderen Ländern. Ich habe daraufhin mit dem türkischen Botschafter in Berlin über die Lage der Christen in der Türkei gesprochen. Wir müssen alles uns Mögliche tun, damit sich deren Situation verbessert.

Herr Prälat Felmberg, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Wolfgang Baake und Andreas Dippel.

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