„Die Bergpredigt sollte unser Kompass sein“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet ist neuer CDU-Bundesvorsitzender. In der Stichwahl auf dem digitalen Parteitag konnte er sich gegen Friedrich Merz durchsetzen. pro hat im vorigen Sommer mit Laschet gesprochen. Im Interview erklärte er seine Ambitionen, die Bedeutung des christlichen Menschenbildes für seine Partei und das Erbe Karl des Großen.
Von PRO
Armin Laschet

pro: Wer wie Sie den CDU-Vorsitz anstrebt, der traut sich auch das Kanzleramt zu. Wie sehen Sie die Perspektive – wohin geht die Reise in den nächsten Jahren?

Armin Laschet: Wir haben in den vergangenen Jahren trotz großer Krisen – beispielsweise der Finanzkrise, der europäischen Schuldenkrise und der Flüchtlingskrise – in einem friedlichen, von Wohlstand geprägten Umfeld gelebt. Und heute gibt es neue, wichtige Herausforderungen: Dazu gehört aktuell natürlich die Bewältigung der Corona-Pandemie und die Sorge vieler Menschen, dass sie ihre Arbeit verlieren. Wir müssen außerdem um den Zusammenhalt der Europäischen Union kämpfen. Und wir müssen Wege finden, um unsere industrielle Struktur zu behalten und dem Klimaschutz gerecht zu werden. Wer Politik gestalten will, muss sich zutrauen, diese Herausforderungen zu meistern.

Das tun Sie?

Ich stelle mich dieser Verantwortung jeden Tag als Regierungschef eines Landes mit 18 Millionen Einwohnern. Meine Visitenkarte für den CDU-Bundesvorsitz ist unsere Regierungsarbeit seit drei Jahren für einen klaren Kurs bei der inneren Sicherheit, für einen starken Mittelstand und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sowie eine gute Bildung. Und natürlich spielt unsere ausgewogene, abwägende Politik zur Bewältigung der Pandemie eine Rolle, bei der wir immer auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgeschäden im Blick haben.

Was bedeutet für Sie das christliche Menschenbild, für das die CDU steht, konkret?

Das christliche Menschenbild ist eine grundlegende Vorstellung von der Frage, was der Mensch ist und wie der Mensch ist. Und aus dieser speziellen Haltung heraus kann man die Welt interpretieren und politisches Handeln gestalten. Wichtig finde ich dabei die Rückbindung des Menschen an seinen Schöpfer: Der Mensch soll die Erde gestalten, aber er soll nicht selbst Gott spielen. Das christliche Menschenbild betont auch, dass der Mensch sowohl ein unverwechselbares Individuum, als auch ein soziales Wesen und damit Teil der Gemeinschaft ist. Diese Doppelnatur der Person lässt sich auch in die Wirtschaftsordnung übertragen. Die Soziale Marktwirtschaft entspricht genau diesem Grundgedanken: Dort gilt es, Eigenanreize zu setzen und zugleich ein solidarisches System als Gesellschaft zu schaffen, von dem alle profitieren. Ein anderer, wichtiger Punkt ist die Stärkung der Familie; ebenso die europäische Vision, Menschenrechte nicht an nationalen Grenzen festzumachen, sondern für die Einheit Europas einzutreten. Alles das lässt sich aus dem christlichen Menschenbild ableiten.

Auch die Frage nach dem Lebensschutz steckt darin. Anfang des Jahres hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe aufgehoben. Wie stehen Sie dazu?

Aus dem christlichen Menschenbild folgt, dass das Leben in jeder Phase geschützt werden muss. Sterbehilfe ist ein besonders existenzieller Fall. Die Regeln, die das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, und seine Vorstellung von Selbstbestimmung sind schon sehr weitgehend. In diesem ethischen Konflikt muss man genau abwägen: Wie viel Selbstbestimmung hat man über sein eigenes Leben? Und wo ist Leben unverfügbar? Ich bin jedenfalls skeptisch, ob zur Persönlichkeitsfreiheit tatsächlich auch das Recht gehört, geschäftsmäßige Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können.

Und was bedeutet für Sie das christliche Menschenbild am Anfang des Lebens?

Wir haben in Deutschland eine Lösung gefunden, das ungeborene Leben rechtlich weiterhin zu schützen, aber Frauen im Konfliktfall nicht alleine zu lassen. Deshalb sieht der Staat im Beratungsfall, der die Möglichkeit eröffnet, in Konfliktsituationen zu helfen, bei einem Schwangerschaftsabbruch von einer Strafbarkeit ab. Das basiert auch auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das dann am Ende in die gesetzliche Formulierung des Paragraphen 218a mündete.

Sie gelten nach Ansicht mancher als Unterstützer der Politik von Angela Merkel. Ihr Mitbewerber Friedrich Merz hat mehr Unterstützung von Konservativen. Wie wollen Sie auch die konservativen Mitglieder der CDU für sich gewinnen?

Die Frage ist: Was heißt konservativ? Einen klaren Kurs der inneren Sicherheit zu haben, würden manche als konservativ bezeichnen. Das praktizieren wir in Nordrhein-Westfalen. Unser Innenminister Herbert Reul setzt ein Null-Toleranz-Prinzip gegenüber Gewalttätern und Rechtsbrechern durch – und erntet hierfür bundesweit viel Anerkennung. Ein starker Rechtsstaat ist etwas, was viele Konservative schätzen. Dafür stehen meine Politik und die der gesamten Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.

„Das sogenannte christliche Abendland war nie ein nationalistisches.“

Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel richtig war. Aber Sie sagen auch: Wir brauchen einen besseren Schutz an den EU-Außen­grenzen. Würden Sie Flüchtlinge eher zurückschicken oder eher einladen, nach Deutschland zu kommen?

Es entspricht dem christlichen Menschenbild jedenfalls nicht, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Wir brauchen ein geordnetes System der Migration, das auch den Schutz der Außengrenzen sicherstellt. Die Entscheidung der Bundeskanzlerin damals war, nicht Binnengrenzen in Europa zu schließen, sondern Außengrenzen zu sichern und zu einem solidarischen Verteilungssystem zu gelangen. Das ist europäisches Handeln. Bei der Verteilung der Flüchtlinge gibt es noch eine Menge zu tun. Wir werden daran arbeiten. 

Es gibt immer wieder Berichte davon, dass zum Christentum konvertierte Flüchtlinge in ihre muslimischen Heimatländer abgeschoben werden sollen. In etlichen davon droht ihnen Verfolgung oder der Tod. Der CDU-Politiker Volker Kauder etwa hat gefordert, Konvertiten nicht in islamische Länder, insbesondere in den Iran, zurückzuschicken. Was sagen Sie dazu?

Man muss jeden Einzelfall prüfen. Im Prinzip sollte niemand, der abgeschoben wird, sich anschließend Todesgefahr aussetzen müssen. Das gilt natürlich auch für Christen und für zum Christentum Konvertierte. Das ist auch heute schon der Rechtsmaßstab.

Ganz real scheint der Staat da mitunter überfordert zu sein.

Nein. Jede Abschiebung ist eine, bei der man über Menschenschicksale entscheidet. Klar ist auch: Wer ohne Schutzbedürfnis ist, hat kein Recht auf Asyl. Das ist die Grundregel. Jemand, der wegen seiner Religion in seinem Heimatland verfolgt würde, hat ein Schutzbedürfnis. Ich habe großes Vertrauen, dass unsere Justiz gute Entscheidungen trifft.

Sie kommen aus Aachen. Den Dom, in dem Karl der Große begraben liegt, und Ihre Heimat beschreiben Sie als das Abendland. Was verstehen Sie darunter?

Das ist ein über Jahrhunderte entstandener Begriff, der heute eine andere Prägung hat. Das Abendland war der Versuch, nicht national, sondern aufgrund einer Idee einen Kontinent zu einen. Dafür stand Karl der Große mit der Grundüberzeugung, dass durch Bildung und ein gemeinsames Menschenbild ein gesellschaftliches Gefüge zusammengehalten werden kann. Aus dieser abendländischen Prägung sind viele philosophische, künstlerische und auch Werte-Entscheidungen in den Jahrhunderten entwickelt und geprägt worden. Wichtig ist: Dieses sogenannte christliche Abendland war nie ein nationalistisches. Wenn in Dresden manche Pegida-Demonstranten sich auf das christliche Abendland beziehen, um gegen Muslime Stimmung zu machen, war das nie die eigentliche Idee hinter dem Begriff. Es gab auch zu Zeiten Karls des Großen einen intensiven Austausch etwa mit Harun al-Raschid, dem Hof in Bagdad, und immer schon den Willen, Brücken zu anderen Kulturen zu schlagen.

Sie haben als Politiker und auch als katholischer Christ gesagt: Das Evangelium ist das Beste, was Christen dieser Welt bieten können. Was heißt das konkret? Die Bergpredigt in der Politik umsetzen – Helmut Schmidt hat gesagt, das geht nicht.

Die Botschaft des christlichen Menschenbildes, also der Res­pekt vor der anderen Person oder die Nächstenliebe, ist etwas, das der Welt guttäte, wenn sich jeder daran hielte. Natürlich kann man die Bibel nicht eins zu eins in Politik umsetzen. Das wird nicht funktionieren und es entspricht auch nicht ihrer Intention. Aber ein Kompass sollte die Bergpredigt schon sein. Für unser Handeln und im persönlichen Miteinander kann die gelebte Bergpredigt und kann gelebte Nächstenliebe eine Richtschnur für ein friedliches Zusammenleben in unserer Welt sein.

Sie sind selbst in einer katholischen Gemeinde aufgewachsen und engagieren sich in der Kirche, Ihre Frau haben Sie im Jugendchor kennengelernt. Wie gestaltet sich Ihr Glaubensleben heute?

Glaube ist ja etwas Privates, das jeder für sich gestaltet. Die enge Verbindung zur Gemeinde ist weiterhin da. Die Zeit für das Engagement in der Gemeinde ist natürlich leider anders als in der Jugendzeit.

Kommen Sie im Alltag zum Beten?

Ja, natürlich. Die Zeit muss man sich nehmen. Denn ich merke auch, wie gut das tut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel richtig war. Aber Sie sagen auch: Wir brauchen einen besseren Schutz an den EU-Außen­grenzen. Würden Sie Flüchtlinge eher zurückschicken oder eher einladen, nach Deutschland zu kommen?

Es entspricht dem christlichen Menschenbild jedenfalls nicht, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Wir brauchen ein geordnetes System der Migration, das auch den Schutz der Außengrenzen sicherstellt. Die Entscheidung der Bundeskanzlerin damals war, nicht Binnengrenzen in Europa zu schließen, sondern Außengrenzen zu sichern und zu einem solidarischen Verteilungssystem zu gelangen. Das ist europäisches Handeln. Bei der Verteilung der Flüchtlinge gibt es noch eine Menge zu tun. Wir werden daran arbeiten. 

Es gibt immer wieder Berichte davon, dass zum Christentum konvertierte Flüchtlinge in ihre muslimischen Heimatländer abgeschoben werden sollen. In etlichen davon droht ihnen Verfolgung oder der Tod. Der CDU-Politiker Volker Kauder etwa hat gefordert, Konvertiten nicht in islamische Länder, insbesondere in den Iran, zurückzuschicken. Was sagen Sie dazu?

Man muss jeden Einzelfall prüfen. Im Prinzip sollte niemand, der abgeschoben wird, sich anschließend Todesgefahr aussetzen müssen. Das gilt natürlich auch für Christen und für zum Christentum Konvertierte. Das ist auch heute schon der Rechtsmaßstab.

Ganz real scheint der Staat da mitunter überfordert zu sein.

Nein. Jede Abschiebung ist eine, bei der man über Menschenschicksale entscheidet. Klar ist auch: Wer ohne Schutzbedürfnis ist, hat kein Recht auf Asyl. Das ist die Grundregel. Jemand, der wegen seiner Religion in seinem Heimatland verfolgt würde, hat ein Schutzbedürfnis. Ich habe großes Vertrauen, dass unsere Justiz gute Entscheidungen trifft.

Sie kommen aus Aachen. Den Dom, in dem Karl der Große begraben liegt, und Ihre Heimat beschreiben Sie als das Abendland. Was verstehen Sie darunter?

Das ist ein über Jahrhunderte entstandener Begriff, der heute eine andere Prägung hat. Das Abendland war der Versuch, nicht national, sondern aufgrund einer Idee einen Kontinent zu einen. Dafür stand Karl der Große mit der Grundüberzeugung, dass durch Bildung und ein gemeinsames Menschenbild ein gesellschaftliches Gefüge zusammengehalten werden kann. Aus dieser abendländischen Prägung sind viele philosophische, künstlerische und auch Werte-Entscheidungen in den Jahrhunderten entwickelt und geprägt worden. Wichtig ist: Dieses sogenannte christliche Abendland war nie ein nationalistisches. Wenn in Dresden manche Pegida-Demonstranten sich auf das christliche Abendland beziehen, um gegen Muslime Stimmung zu machen, war das nie die eigentliche Idee hinter dem Begriff. Es gab auch zu Zeiten Karls des Großen einen intensiven Austausch etwa mit Harun al-Raschid, dem Hof in Bagdad, und immer schon den Willen, Brücken zu anderen Kulturen zu schlagen.

Sie haben als Politiker und auch als katholischer Christ gesagt: Das Evangelium ist das Beste, was Christen dieser Welt bieten können. Was heißt das konkret? Die Bergpredigt in der Politik umsetzen – Helmut Schmidt hat gesagt, das geht nicht.

Die Botschaft des christlichen Menschenbildes, also der Res­pekt vor der anderen Person oder die Nächstenliebe, ist etwas, das der Welt guttäte, wenn sich jeder daran hielte. Natürlich kann man die Bibel nicht eins zu eins in Politik umsetzen. Das wird nicht funktionieren und es entspricht auch nicht ihrer Intention. Aber ein Kompass sollte die Bergpredigt schon sein. Für unser Handeln und im persönlichen Miteinander kann die gelebte Bergpredigt und kann gelebte Nächstenliebe eine Richtschnur für ein friedliches Zusammenleben in unserer Welt sein.

Sie sind selbst in einer katholischen Gemeinde aufgewachsen und engagieren sich in der Kirche, Ihre Frau haben Sie im Jugendchor kennengelernt. Wie gestaltet sich Ihr Glaubensleben heute?

Glaube ist ja etwas Privates, das jeder für sich gestaltet. Die enge Verbindung zur Gemeinde ist weiterhin da. Die Zeit für das Engagement in der Gemeinde ist natürlich leider anders als in der Jugendzeit.

Kommen Sie im Alltag zum Beten?

Ja, natürlich. Die Zeit muss man sich nehmen. Denn ich merke auch, wie gut das tut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Christoph Irion und Jonathan Steinert

Dieses Interview erschien zuerst in der Ausgabe 4/2020 des Christlichen Medienmagazins pro. Sie können das Heft online bestellen oder telefonisch unter 06441/5667700.

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